Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Donnerstag, 19. 10 17

19.10.17, 11:25 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
Ganz unvermittelt aufgewacht. Orientierungslos in Zeit und Raum. Der Raum klärt sich zuerst, die warme Decke, die Matratze mit der bekannten Form. Die Augen geschlossen haltend stelle ich fest, daß ich wach bin. Die bisher gekniffenen Lider entspannen sich, ich schlage sie irgendwann auf und sehe zur Uhr. Es ist zehn vor Wecker, und ich schlage einfach die Decke zurück und setze mich an den Bettrand. Es ist sehr still. Überraschenderweise bleibe ich einfach wach, stehe also auf, verrichte dies und jenes im kleinen Badezimmer und in der Küche, sitze dann mit einem Kaffee wieder auf der Bettkante. Ich kann ja gar nicht ins Bad torkeln, wie man so gern sagt, denn es sind keine zwei Schritte vom Bett aus, und wenn ich am Vorabend nicht geschlampert habe, habe ich damit sogar schon die Schlappen angezogen. Prüfend schaue ich über den Rand meiner Kaffeetasse auf die Zehen, die sich den Augen entgegenrecken, als hätten sie ihre eigenen Köpfe. Noch ein Kaffee in die Thermoskanne, Müsli, Kabapulver, Joghurt und eine Banane in Scheiben wandern geschichtet in eine Plastikdose. Es ist noch nicht halb sieben, als ich im Schein der Stirnlampe die Wohnung verlasse. Ich radle entlang der Straße, wo sich die Abgase erst durch die frische Luft beißen, wo noch jedes Geräusch einzeln die Ruhe stört, anstatt eine halbe Stunde später in den Lärm einzustimmen. Im Wald ist es ruhig, ich bewundere den Schein meiner Lampe, der sauber abgegrenzte helle Bereich, der grenzenlos schimmernde Rand. Ich richte den Blick in die Ferne, und das Licht verliert sich im Dunkel. Das Laub knirscht noch nicht, aber das Geräusch der schneidenden Reifen ist schon mehr als der Wind, der die Blätter nur verwirbelt. Mit nur wenig Schweiß erreiche ich das Büro.

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Gestern noch, ganz grundlos, aus Wissensdurst vielleicht, oder aus Unwissenspeinlichkeit womöglich, die Grundlagen der Differentialgleichungen nachgelesen, die für uns arme Ingenieure wichtig sein könnten. Ich lese heute anders, sehe die Auslassungen derer, die die Bücher schrieben, weil der Ingenieur nun wirklich nicht mehr wissen kann und muß, weil man ihn nicht über Gebühr mit Zusammenhängen verwirren will, und mittlerweile freue ich mich einfach daran, solche Zusammenhänge zu finden, und dabei hilft das Internet, denn ich bin ja nur Ingenieur, das freie, das wahrhaft mathematische Rechnen abseits der gelesenen Beispiele fällt mir schwer. Wie aus einer Differentialgleichung unvermittelt die Gleichung konzentrischer Kreise entsteht und ich mich plötzlich wundere, ob man umgekehrt auch die Differentialgleichungen der Kreise ermitteln könnte. Ich rechne unsicher her und hin, scheitere schließlich, aber glücklicherweise bin ich noch in den Bereichen, die Suchmaschinen finden und Foren beschreiben können, lese also leuchtendes Einleuchtendes und freue mich an meinem Fund. Mathematik als Hobby, als Beschäftigung für freie Abende, und so hätte ich dereinst studieren sollen, denke ich, mit den Büchern, die ich heute habe und dem Drang, irgendwann auch mal gebildet zu werden. Später lese ich noch die "Lebensformen im Mittelalter", Buch eines Professors aus der Nähe, und zumindest die Einleitung schaffe ich vor der Müdigkeit, genieße die Präzision und den Schliff der Sprache, den mir das Internet - oh Fluch und Segen! - zusehends verdirbt durch das jedermännische des Schreibens, durch die Unkontrolliertheit, und darum sollte sich ein Ministerium vielleicht mal kümmern, denke ich noch, schlafe dann aber ein, ein Glück, bevor ich mich aufregen kann.

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Zuvor am See in der Abendsonne sitzend noch die Geschichte Hermann Buhls zu Ende gelesen, der kurz vor dem Gipfel der Chogolisa im Himalaya abstürzte, bereits auf dem Rückzug befindlich, den ein Wettersturz erzwungen hatte. Nur diese kurze Expedition wird aus der Sicht seines Begleiters und Kameraden beschrieben, und dieser Wechsel der Perspektive rückt die ruhigen Erzählungen Buhls erst in das Licht des riesigen Abenteuers.

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Heimweh, Rastlosigkeit und Aufbruchsstimmung. Noch recht ziellos, im Moment, das muß sich, das muß ich weisen.
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Montag, 6. 07 15

06.07.15, 20:35 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
Für Ronja von Rönne, für den Krieg und die Liebe und die Produktivität, und zur Not auch noch für Karlsruhe, wenn es denn sein muß.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Freitag, 23. 01 15

23.01.15, 09:42 | 'Buchstaben ueber dem Bett'

Noch ist es recht leer, das Bücherregal. Aber das gibt sich, ganz sicher.
# |  7 RauchzeichenGas geben

Freitag, 21. 03 14

21.03.14, 10:47 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
Jahrelang habe ich Bücher gekauft, gelesen und auf dem winzigen Regal verstaut. Zuerst in einer Reihe, dann in einer zweiten, dann in Stapeln. Immer wieder habe ich das eine oder andere in eine Kiste gepackt und im Speicher verstaut. Die neue Wohnung, die ja eine zusätzliche ist, hat den Zustand etwas entspannt, und auch weil mein Vater für seine neue Bibliothek die Kisten im Speicher ausgeräumt hat, habe ich schon länger keine Bücher mehr weggepackt. Nun ist vor einiger Zeit ein Stapel vom Regal gebrochen und hat ein gutes Dutzend Staubmäuse erschlagen. Und als ich neulich einen Tag kränkelnd im Bett verbrachte, kam mir die Idee, meine Bücher zu sortieren. Einfach mal so, nach dem Alphabet und in der Reihenfolge der Autorennamen. Ich habe die Idee dann eine Weile liegen gelassen, weil ich die Bücher zwar sortieren, aber in dieser Reihenfolge nur auf dem Boden stapeln kann. Ein sieben Meter langer Raum freut einen da sehr, ein nur einen Meter langes Regal dafür weniger. Deshalb sind die Fachbücher ja auch separat, aber ich schweife ab. Jedenfalls wachte ich neulich auf und beschloß, die Idee doch umzusetzen. Zur Not im Chaos wieder einräumen und sich freuen, daß man jedes Buch mal wieder in der Hand hatte.
Es war nun so, daß mein Senior damals, ich war eben in meiner Diplomarbeit, auch einige Bücher weggeworfen hat. Er ist reinlich, er dreht auch "unpassende" Bücher im Regal so, daß man den Rücken nicht lesen kann, und er beherrscht die Geste des "Weg damit". Ich stolperte also über eine Kiste mit wegzuwerfenden Büchern. Meinen Büchern. Es waren nur Schundromane, Groschenromane von Indianern und Cowboys, aber ich hatte sie gern gelesen, ich wußte, von wem ich sie geschenkt bekommen hatte, und ich wollte sie behalten. Sie flogen in den Müll, was in den Tagen zuvor schon weggeworfen worden war, konnte ich nicht mehr herausfinden, und ich erinnere mich noch an meine hilflose Wut, und den kleinen Zettel, der mich damals besänftigte, den habe ich noch heute in meinem Schrank hängen.



Nun ist es so, daß ich Bücher sehr gern habe. Manche Geschichten liebe ich, und manche Bücher erinnern mich einfach. Ich hatte eines in Frankreich dabei, und habe es während des langweiligsten Schüleraustausches der Welt ein Dutzend Mal gelesen. Daß ich währenddessen von der französischen Polizei festgenommen wurde, ist eine ganz andere Geschichte. Nun ist es auch so, daß ich schon viele Bücher gelesen habe. Und es ist so, daß mein Gedächtnis ganz seltsam funktioniert. Ich denke manchmal an ein Zelt und eine Ahnentafel, und dann muß ich unbedingt dieses Buch mit der Ahnentafel wieder lesen. Ganz einfach, weil ich sie im Zelt gelesen hatte. Das ist nicht immer ganz einfach, weil ich Titel vergesse, und bei den wenigen Fetzen, die nach fast zwanzig Jahren noch da sind, hilft auch keine Suchmaschine. Solange aber die Bücher noch da sind, sichtbar sind, greifbar sind, stöbere ich im Regal und weiß, daß ich sie wiederfinde und plötzlich wieder im Zelt bin. Oder ich finde beim Stöbern etwas anderes und bin plötzlich wieder in Frankreich auf einem Schlafsofa, neben mir das schönste Mädchen der Welt, und wir lesen, oder ich tue nur so und sehe ihr zu, wie sie alle paar Minuten das Haar hinters Ohr streicht. Diese Bücher bringen mir also nicht nur ihre Geschichten, sondern auch meine Geschichten. Und das funktioniert nur, solange sie in einem begrenzten Raum sind. Das funktioniert nicht mehr, wenn ich sie verleihe und vergesse, oder wenn sie jemand wegwirft, oder wenn jemand anderes sie verleiht und ein dritter sie dann wegwirft. Auch wenn ich ein ganz passables Gedächtnis habe - ich werde nicht vergessen, in welchem Regal jetzt meine R.E.M.-CD steht und wer diesen witzigen Krimi mit der Rothaarigen und dem Ganoven von mir ausgeliehen hat. Und dann hatte ich ja auch noch die gelben Klebezettel, auf denen Namen und Titel stehen, aber das bringt mir ja die Bücher nicht zurück, und die Zettel verbleichen, und die Tinte verblasst, und dann hält sie der Kleber nicht mehr am Regal und der Staubsauger erledigt den Rest.
Ich mag es nicht, wenn man mir so meine Geschichten wegnimmt. Ich mag es nicht, wenn mir nur der kleine Schlüssel zu einem großen Geschichtenraum fehlt. Ich mag mich erinnern. Deshalb bin ich ja auch so eigen mit meinen Büchern. Und deshalb habe ich jetzt die verbliebenen sortiert, und ich werde keines verkehrt ins Regal stellen, sondern ich werde zu Schundromanen und Philosophen stehen, zu Kinderbüchern und Fachgesülze, denn das ist mein Schatz, da steckt meine Zeit drin und meine Geschichte.
Und jetzt sortiere ich eben meine Bücher, versehe sie mit meinem Namen, und dann werde ich die Bibliothek meines Vaters durchforsten, und immer, wenn mir ein Buch einfällt, das ich mal hatte, oder eine Geschichte, zu der es passt, dann kaufe ich es noch einmal. Ohne zu zögern. So kann ich vielleicht nicht alles zurückholen, aber nichts mehr verlieren. Und da bin ich komisch, da bin ich so. Ich mag konservieren, ich rieche mehr als den Staub in alten Geschichten.
Was mir nun auffällt, da ich die ersten bestellt habe, an die ich mich sofort erinnert habe, weil mir ein Buch fehlte, das lose Blätter hatte und das man sehr vorsichtig lesen musste, und davon ausgehend habe ich es tatsächlich gefunden im Internet (Hach, Internet!), was mir nun also auffällt, ist eines: Ich habe (und hätte) mir nie einen Glattauer geschenkt. "Gut gegen Nordwind" finde ich flach und einfallslos, und wenn es mit dem "Wetter vor fünfzehn Jahren" in Berührung kommt, wird es sofort zu Staub zerfallen vor Ehrfurcht. Aber irgendjemand hat es mir geschenkt. Und noch jemand. Und noch einer. Ich besitze ein schlechtes Buch drei Mal. Ein Elend.
Was mir noch auffällt: die Sortierung nach dem Alphabet ist witzig. Da darf ein Kafka neben einem Kuhn liegen, und der "Lebenslauf der Liebe" neben der "Laktation des Rindes". Hihi, sehr schön.
Und noch eines, und erst hier kommen Sie ins Spiel: Das Alphabet hat sechsundzwanzig Buchstaben, und ich habe nur dreiundzwanzig Stapel. Ich habe kein Buch von einem Autoren, der mit "O" beginnt. Keines mit "Q", "V", "X" und "Y". Und die Stapel für "D", "L" und "N" sind nicht besonders hoch. Sagen Sie mal: Was gibt es da noch Nettes zu lesen?
# |  8 RauchzeichenGas geben

Freitag, 14. 03 14

14.03.14, 09:28 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
"You can never love people as much as you can miss them."
(John Green - An Abundance of Katherines)
# |  Rauchfrei | Gas geben

Dienstag, 7. 01 14

07.01.14, 22:08 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
Das Fest, zu dem ich ein Kochbuch bekam.
# |  5 RauchzeichenGas geben

Montag, 7. 10 13

07.10.13, 12:53 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
# |  Rauchfrei | Gas geben

Donnerstag, 4. 07 13

04.07.13, 02:09 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
"Aber eine Aufgabe stellte die Natur dem Individuum. Löste es sie nicht, so starb es. Löste es sie - gleichviel, es starb dennoch. Der Natur war es gleichgültig: Es waren unzählige, die gehorchten, und nur der Gehorsam, nicht der Gehorchende, lebte und lebte ewig."
(Jack London, Koskoosh)
# |  Rauchfrei | Gas geben

Sonntag, 1. 07 12

01.07.12, 18:52 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
"Es ist schon interessant", sagte die alte Dame neulich zu mir, " wie viele Dinge ihren Wert verlieren, wenn man denn nur plötzlich stirbt."
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Sonntag, 31. 07 11

31.07.11, 23:16 | 'Buchstaben ueber dem Bett'
"Schreiend tritt er ins Leben, der Mensch, und
schreiend empfiehlt sich so mancher.
Dazwischen aber gelten als Norm:
Leiden und Schweigen."

Gernhardt, oder das, was ich bisher von ihm lesen durfte, ist am besten, wenn er nicht die Schönheit sucht, sondern das blanke Elend beschreibt. Das Entsetzen, das kommt dann von allein. Das ist nicht schön, aber es ist gut. Seltsam wichtig kommt es mir vor, das zu lesen, das zu wissen, das in mir brennen zu spüren. Bedenke, daß Du sterblich bist. Gernhardt mahnt nicht, er verzweifelt nicht, und das mahnt mich sehr, und es entsetzt mich, aber es macht mich nicht verzweifelt, sondern ein wenig glücklich, wie einen schwer atmend Entkommenden, ein wenig fatalistisch wie einen, der statt eines auch beide Beine hätte verlieren können, und das reicht mir und das werde ich wieder einmal lesen und mich am Titel freuen: Im Glück und anderswo. Ganz anderswo. Vielleicht ist es die Standortbestimmung, die es ermöglicht, dieses kleine Buch, indem es so weit weg ist und von dort und jenem erzählt, nur nicht von mir und hier, und dann ist alles wieder mal nur halb so schlimm, und manchmal reicht das schon. Und wenn wir ehrlich sind: mehr will doch von mir auch keiner hören.
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