Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

02.10.06, 02:48
Sie wirft Menschen weg. Nicht achtlos, sondern verachtend.

[Manchmal denke ich noch an die Nacht mit ihr. Sie stützt ihre Ellenbogen auf meiner Brust ab. Ich puste ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich kann sie atmen fühlen; überdeutlich, plastisch. Ihre Rippen weiten sich, wenn sie Luft holt. Ziehen sich wieder zusammen. Ihr Lachen ist stoßweise, ihr ganzer Körper vibriert rhythmisch.
Ich lege meine Hände auf ihren Rücken. Ihre Zehen spielen mit meinen.

Ich sitze auf der Fensterbank und starre in die Nacht. Der Nachbar hat längst seinen ratschenden Rolladen geschlossen. Es ist ruhig. Der Rauch zieht in Spiralen nach draußen, wird dann von der Nachtluft wieder hereingeweht. Noch hält er zusammen.
Der Luftzug wird stärker, als sie die Tür öffnet. Der Rauch verschwindet in die Nacht. Meine Gedanken zerfasern.
"Sicher?"
- "Ja. Bitte."

Sie schließt die Tür geradezu behutsam. Lässt sie nicht ins Schloss schnappen, sondern hält die Klinke gedrückt. Da ist kein Moment, der alles entscheidet, kein Sprung von einer Klippe. Sie verschwindet einfach, und der Rauch bildet neue Spiralen, sanft gewendelt steigen nach oben. Man kann den Ort, an dem sie verschwinden, nicht fixieren.

Motorengeräusch verstärkt die Stille, drängt sie zusammen, verdichtet sie. Ich kann den Moment nicht bestimmen, an dem es nicht mehr zu hören ist.

Sie hatte mich manchmal gefragt, an was ich gerade dächte. Ich konnte ihr nicht antworten. Ich wußte es nicht. Stundenlang hätte ich mich in ihren Augen spiegeln können, ihr Atmen fühlen, ihrem Duft nachspüren. "Du denkst zuviel", sagte sie dann und ich sagte dann stets, daß ich nie zuviel an sie denken könne. Ich war nicht nur unfähig, mich in Worte zu fassen, ich war nicht einmal imstande, die Gedanken zu erhaschen. Sie stiegen von irgendwoher auf, plastisch und doch unfassbar, ungreifbar, wie der Rauch.

Liebe ist ein großes Wort. Wenn man jemanden verstößt, weil man ihn liebt, kann man das nicht erklären. Möbiusbänder.
Wenn man jemanden garnicht liebt, kann man das nicht erklären. Mitleid ist auch eine Form von Liebe.
Wenn ich dem Rauch nachschaue, ist er zuerst dicht und weiß, ich kann ihn mit der Hand zerteilen. Dann zerfasert er langsam. Aber er verschwindet nicht. Er ist irgendwann einfach zu weit verteilt, um wahrgenommen zu werden.

Und als ich sie damals bat, zu gehen, glaubte ich daran. Ich glaubte daran, als ich die Anrufe ablehnte, die Mitteilungen unbeantwortet ließ und ihre Gegenwart mied. Eine wilde Entschlossenheit trug das Glauben, diffundierte hinein und verwandelte es in ein entsetztes, verzweifeltes Glaubenwollen.

Ich möchte immer noch gern glauben. Stattdessen verabschiede ich mich. Ich lege das Fühlen und Glauben ab, bedecke es durch den Abschied.

Ich bin ein Stein, der von einer Klippe geworfen wird. Ich kann nur schreien, "Dahin wollte ich ja!" und darauf vertrauen, daß actio und reactio gleich sind. Ich denke mich als Stein, der aus ihrer Hand springt, sicher, daß sie mich nie mehr halten wird.]

"Eintrag gelöscht", verkündet es leuchtend. Ich wäre gerne ein Telefon, denke ich, manchmal. Ich drehe es in der Hand. Ein großer Riß zieht sich in Richtung des Leuchtens, zielstrebig, unaufhaltsam. Wenn er es erreicht, wird es wohl verlöschen, denke ich.

Bitte, keine Kommentare.

Rauchzeichen




To prevent spam abuse referrers and backlinks are displayed using client-side JavaScript code. Thus, you should enable the option to execute JavaScript code in your browser. Otherwise you will only see this information.