03.11.23, 20:49
Und jetzt, da die Abende mitten am Tag schon beginnen wollen und die Nacht sich durch den Himmel frisst, daß ich an ein Abendrot nicht einmal mehr glauben mag, da sind die Fenster wieder hell erleuchtet. Heute sitze ich selbst am Fenster, sehe in meinen Bildschirm, lese und schreibe und nenne das Arbeit. Du wärst sehr stolz gewesen, glaube ich, auf den Jungen, dem Du das Mähen mit der Sense beigebracht hast, das Wetzen und das Dengeln und dem weiten Wurf des Korns aus dem Umhängesack, und der irgendwann auszog, als die letzte Kuh fort war, dieses helle Fleckvieh, die Du ganz für Dich behalten hast und die wir jahrelang gemeinsam gefüttert und gemolken haben. Heute noch könnte ich in den dunklen Stall laufen und die Lichtschalter ertasten. Ich wüsste noch, welche zum Knipsen oder zum Drehen waren. Ich habe Dir oft nach oben gewunken in der Zeit, wo Du am Fenster standst, das offen war im Sommer wie im Winter, auf dem Sims ein Glas Rotwein und ein Aschenbecher. Karten haben wir gespielt, und rauh hast Du gelacht dabei, und ich war doch viel zu selten da. Habe zu selten im Heizkeller gestanden und Scheite in den Ofen geworfen. Und noch viel seltener die Treppen nach oben genommen. Allzu geduldig hast Du gewartet, sagten sie, und ich war damals schon feige vor dem Freund. Dann eine Heimfahrt im Schneetreiben, gejagt von meinem fliehenden Herzen, das viel zu selten mutig war, einen Stau umfahren auf schmalen Wegen, und je länger ich in die Nacht fuhr, umso grober riß ich am Steuer, trat ich die Pedale. Ich habe Dich nicht mehr atmen gesehen, Dich nicht mehr sitzen gesehen, Dich nicht mehr hören können. Ich konnte nichts mehr sagen. In ein paar Tagen werden es sieben Jahre, und in diesen Tagen vermisse ich Dich wie in jener Nacht, als ich im Heizkeller stand und sinnlos Scheite ins Feuer warf. Nun bin ich der Mann am Fenster, nun bin ich der, der wartet, hofft. Hab Dank für alles, hab Dank für diese Kindheit, die mir heute noch mein Fundament ist. Keine Feigheit vor dem Feind, und irgendwann auch keine mehr vor dem Freund. 'S ist Feierabend, haben sie gespielt für Dich, und vielleicht spielen sie es irgendwann für mich.