Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Dienstag, 9. 08 16

09.08.16, 20:46 | 'Tod und Teufel'
Vorhin versehentlich "I'd rather be a forest than a tree" getippt statt des korrekten Zitats aus dem Song. Manche Dinge sollte man eben nicht vom Streicheltelefon erledigen. Wobei das verunfallte Wort die Bedeutung sehr schön verschiebt. Mehr zu sein als nur ein einzelner Baum. Ich habe hier schon lange nicht mehr vor mich hin philosophiert. Ich liste auch nicht mehr so auf, daß ich mich selbst damit an einen einzelnen Tag vor beliebig vielen Jahren erinnern könnte. Ich zeige keine Traktorenbilder mehr, obwohl ich die selbstverständlich noch mache. Und ich schweige dann doch ein paar Dinge aus, die ich früher angesprochen hätte. Wie ich jeden Tag noch dazulerne, mit jedem neuen Menschen, jeder neuen Situation. Wie mich die Kindheit, die Urlaube, die Leben anderer Menschen interessieren. Wie sich unsere Prägungen unterscheiden, wie sehr mich meine Jugend doch zu dem gemacht hat, der ich heute bin. Ich bin, und das fällt mir immer zuerst auf, in anderen Situationen sicher als andere. Und in ganz alltäglichen Situationen eher unsicher. Wie seltsam. Am Flughafen mit seinem Ticket, seinem Boarding Pass, seinen Terminals und Gates und seltsamen Bezeichnungen, und nie weiß ich eine seltsame Reihenfolge. Ich wäre ein guter Flughafentester, weil ich völlig arglos ob der unausgeschriebenen Regeln durch die Hallen und Gänge mäandere, wo die anderen zielstrebig hasten. Ich weiß ja, daß ich mich nicht auskenne, nehme mir also mehr Zeit mit ins Gepäck. Sonst ja nicht so viel. Oder ist schon mal jemand ohne Badetuch auf eine Mittelmeerinsel geflogen? Ich habe es nicht vermisst, muß ich sagen, denn Sonne trocknet einen ganz wunderbar, und ich sitze sowieso lieber im Sand und zeichne Figuren mit den Zehen, als mich hinzulegen und gebraten zu werden. Jedenfalls trennten wir uns an den Toiletten, aus naheliegenden Gründen, und da konnte ich noch nicht sehen, daß meine gesperrt war, out of service stand auf dem Schild, und ich wunderte mich sogar, daß es nicht auf Deutsch da stand, wie auch sonst alles auf Deutsch dasteht, und mir reicht als Erklärung dafür eigentlich, daß mehr als ein Drittel der Flugzeuge auf der Anzeigetafel nach Deutschland fliegen sollten. Gut, ich habe dabei Paderborn mitgezählt, aber das mag für einen Süddeutschen ein lässlicher Fehler sein. Immerhin Amsterdam habe ich ausgeklammert und bei Hamburg nur kurz gezögert. Wie auch immer, hinter dem out-of-service-Band wurde fleißig ge-service-d, ich war etwas durcheinander und kurz nicht mehr so aufnahmebereit für andere Schilder und services-Meldungen, aber da war dann auch gleich jemand ganz freundlich und eskortierte mich wieder hinaus. Authorized personnel only. Aha. Nun, ich bin da flexibel, und wenn ich mich schon nicht autoritär fühle, dann vielleicht wenigstens autorisiert, immerhin promoviere ich über Autos. Zum Glück nicht auf Latein, und zu noch mehr Glück muß ich dort auf flache Scherze verzichten. Hier ja nicht, auch wenn ich diese Texte neulich erst wieder verleugnet habe, als mich von ungeahnter Seite eine junge Dame darauf ansprach. Wie sie darauf käme, fragte ich perplex, und sie erzählte von einem jungen Herrn, der mein größter Fan wäre. Immerhin einer, und wenn er nur für die Traktorenbilder hier sein sollte und ich ihn somit längst vergrault haben könnte, dann sei hiermit festgehalten: Ich bin auch hauptsächlich wegen Traktorenbildern hier. Wir sind nicht allein. Wir können uns nur nicht erklären, fürchte ich. Stell Dir nur vor, es würden alle Traktorfahren wollen. Wäre ja kein Platz mehr auf den Feldern für uns. Wäre doch schade. Dabei bin ich ja schon ausgewichen, der Bezug zu den einzelnen Feldern, die ich über Jahrzehnte bestellt habe, fehlt mir schon sehr. Jahrzehnte, ich habe auch kurz gezögert. Kommt vor mit der Zeit, kann man mal sagen. Was auch noch vorkommt am Flughafen, ist, daß ich Gepäck aufgebe, obwohl ich keines gebucht habe, während mein Rucksack niemanden kümmert und ich selbst auch nicht durchsucht werde. Gut, ich stehe da in meinen verschundenen Kletterhosen und dem verschwitzten Oberhemd - rules of rock - steht da so semipassend drauf, wo ich nach meiner Unfähigkeit, eine abgegriffene VI+ sauber zu klettern, mir selbst am liebsten ein out of service attestiert hätte, auch wenn ich den Durchstieg dann irgendwann gemeistert und mein flatterndes Herzchen bezwungen hatte.Wie gesagt, auf eine Durchsuchung wurde großzügig verzichtet, vermutlich möchte man die Deutschen nicht auch noch anfassen müssen, das konnte ich gut nachvollziehen, anhand dessen, was so um mich herumstand. Die Summe aus Tätowierung und Sonnenbrand lag ungefähr bei zweihundert Prozent der verfügbaren Hautfläche, grob überschlagen, und meine einzige Chance, in diesem menschenarmen Urlaub angepöbelt zu werden, nutzte ich natürlich auch an einem muskelbepackten Unterhemdenträger, seines Zeichens mit Tätowierungen und Sonnenbrand gesegnet, der mir auf Deutsch hinterherfluchte, irgendwas mit aus dem Weg und Arschloch und, nun ja. Früher haben mich die Muskelmänner wenigstens noch geschubst, aber wir werden ja alle nicht jünger. Stattdessen bin ich in diesem kurzen Urlaub ein wenig älter geworden, was aber auch nicht schlimm ist. Denn es sind ja immer noch nicht die Jahre, die mein Blut stocken lassen, mein Herz gefrieren, meine Gedanken hart und spröde machen, meinen Blick leer und nach innen gerichtet. Der Nikolaustag ist schon acht Monate her, denke ich mir, aber ausführen möchte ich das nicht. Einfach festhalten, schreibt einer, den ich damit vor einiger Zeit aufgezogen hatte, einfach mal festhalten, am Fels, an der Zeit, an der Liebe vielleicht, denn ich glaube immer noch, daß man davon überhaupt nichts vergeuden kann, und daß, wer sich daran festhält, gar nie Gefahr läuft, was natürlich völliger Blödsinn ist. Man muß sich nicht mit den Fingerspitzen am Fels festhalten, wenn man auf dem Boden bleibt, und bei jedem Blick von meinem Gurt und dem Knoten daran, das Seil entlang bis zur nächsten Expresse, denke ich mir, was ich nur für ein Trottel bin, nicht am Boden bleiben zu können, und das dachte ich mir neulich auch, als der Silohaufen unter meinen Zwillingsrädern zu einer bedrohlichen Kante wuchs und ich nur das glattgegriffene Lenkrad zum Festhalten hatte. Auch eine Art, Zeit zu verbringen, sich an Lenkräder zu klammern. Sich festzuhalten an einer Liebe. Gar nicht ungefährlich also, und auch nicht alternativlos, man könnte stehen, freihändig sogar, oder auch was ganz anderes tun vielleicht. Man weiß es nicht vorher, denke ich mir, und ich weiß auch nicht, was mich treibt, sobald ich am Seil nach unten geglitten bin, wieder am Fels nach oben zu wollen, wo ich mich ja doch nur festhalten muß und eine geradezu lächerliche Angst vor dem Fallen pflege. Gerade durch ausschließlich erfolgreiches Klettern wird man dieser Angst nicht Herr, habe ich gelernt, man muß fallen, um die Angst vor dem Fallen zu verlieren, und auf eine derart ironische Art des Lernens muß man ja erst mal kommen, und so muß man sich vielleicht auch anderweitig erst nach oben arbeiten, sich festhalten, hochziehen, umschauen und sich selbst zum Fallen zwingen auch, um dann nochmal zu klettern, noch höher, noch schwerer, mit mehr festhalten und umschauen diesmal, und alles nur, weil man nicht gern freihändig am Boden steht, oder zumindest noch lieber klettert und Angst hat, als keine Aussicht, keine Aussichten zu haben. Und wie so oft sind die Karten unvollständig, sind nur grobe Skizzen, und um die nächste Kante sieht man nicht herum, man sieht die Griffe nicht von unten und auch nur schwer die glatten, schwierigen Stellen, und ob die Kraft reicht, kann man auch kaum schätzen. Man könnte fast meinen, man hätte sich selbst gar nicht so gern, wie man immer tut, aber dagegen spricht ja die Angst vorm Fallen, das lange Festhalten, das man immer erst kennt, wenn man wirklich glaubt, jetzt aber fallen zu müssen, jetzt aber und diesmal dann wirklich, und dann hält man immer noch fest und fester, mit Säure in den Armen oder im Herzen oder in dem seltsamen Tank, der meine ganz eigene Dieselmischung enthalten sollte, um mich anzutreiben. Man hat sich also selbst gern, auch wenn man sich wehtut, und entweder ist das ziemlich irre oder ziemlich klug, und auch das steht nicht im Plan, nicht in der Skizze, und ob es da oben wirklich einen Umlenker gibt, ob man eine Exe opfern wird müssen oder einen Karabiner, einen Keil, das Seil, das ganze Leben, das weiß keiner und steigt doch. Imagine, sagte einst Lennon, und When I was young krächzte Burdon, dabei hatte ich doch tatsächlich Good Times im Sinn, ebenfalls von zweiterem, immerhin noch nicht erschossen und noch am Leben in diesem Jahr, das doch so austeilt mit dem Tod. Mal schlägt er weit entfernt ein und mal nah, mal unvermittelt und einmal wohl noch mit Ansage, mit dem langen Atem, den er braucht, um starke Menschen mürbe zu machen. Allein könnte er das gar nicht, der feige Hund, er braucht einen Krebs dazu, dem auch unsere Wut und unsere Tränen nichts anhaben können, und unsere Säuren sind längst zu Giften geworden, die mit dem Krebs auch den Körper töten, sodaß sich die eigene Kraft, das Festhalten letztlich gegen uns selbst wendet und gegen die, die wir festhalten wollen. Halt Dich an Deiner Liebe fest, kam mir neulich wieder in den Sinn, und ich habe das so laut gehört, wie es mein kleines Streicheltelefon zustande gebracht hat, auf einer Terrasse in einem reichen Viertel neben einem wackligen Grill, auf einem werbefinanzierten Sender, und wegen all dieser Ironie mußte ich noch lauter singen und daran denken, wie ich torkelnd zu diesem Lied schon getanzt habe, meine Menschen im Arm gehalten, um nicht zu fallen, um mich festzuhalten, wieder mal, und wieder Tränen, Säure in den Muskeln, im Kraftstoff, der das Herz antreibt. Halt Dich an Deiner Liebe fest, an Deinem Fels, an irgendwas, weil wir nicht stehenbleiben können, weil wir ziellos sein dürfen, aber nicht antriebslos, weil wir nicht ruhen dürfen, wo Leben doch Bewegung ist, weil wir unseren Kraftstoff, unseren Antrieb nicht aufsparen dürfen, und vielleicht ist das mein einziger und schwacher Beweis, daß danach nichts mehr kommen kann, daß ein leerer Tank das Ende ist, oder doch nur das Warten auf die große Tankstelle da oben, wer weiß das schon. Deshalb dürfen wir auch nicht vorab weinen, nicht übersäuern, nicht versauern, wir müssen uns verschwenden, weiter festhalten, höher steigen, und die an uns halten, an denen wir hängen, und uns an eben die halten. Halt Dich an Deiner Liebe fest, und das dürfte so ziemlich alles sein, was wir sicher wissen, wenn wir weder wissen, was die Liebe ist noch wem sie gelten soll, dann nur, daß sie gut und richtig ist und es festzuhalten gilt.
# |  Rauchfrei | Gas geben


09.08.16, 11:58 | 'Destination anywhere'
Ich zeige ja kaum noch Bilder hier. Wer hat schon ein Kabel zur Hand.

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Am Eingang bekommen wir blaue Ponchos aus Plastik geschenkt. Keine schlechte Idee, wie sich zeigt. So bin ich nach zehn Konzertminuten nur auf dem unteren Körpermeter klatschnass und bleibe weitere zehn Minuten auf dem oberen Meter trocken, bevor sich die Plastikhaube durch den Tanz- und Singschweiß in ein Treibhaus verwandelt, an dessen Scheiben ich von innen her kleine Herzchen male.

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Mit einem Elektromietwägelchen kurven wir frühmorgens zum Flughafen. Wir geben unseren gemeinsamen Koffer ab und sitzen dann zuerst gelangweilt und ruhig am Boden und anschließend angespannt und durchgeschüttelt in der Luft herum.



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Ein Mietwägelchen, das nur einer fahren darf.

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Ich habe ja Vorbehalte aufgrund des Urlauberklischees. Ballermann, Bierkönig, Sonnenbrand und schlechtes Benehmen. Klar sehen wir die, aber viele sind es nicht. Keine kritische Masse, und vor allem nicht hier.

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Stattdessen Tourismusprofis. Man bemüht sich um uns, man ist schnell und professionell und freundlich. Und man spricht deutsch. In Italien habe ich mir schnell ein paar Brocken angeeignet, in mein Französisch habe ich sehr schnell wieder hineingefunden. Hier höre ich die ersten spanischen Gespräche erst am Fels zwischen einigen Einheimischen. Es erschreckt mich, wie sehr ich mich auch beim Bestellen von Getränken ans Deutsche gewöhne. Una cerveza por favor sage ich nur einmal, weil man mir auf Deutsch antwortet. Im Supermarkt dudelt ein Radiosender, der Sprecher berichtet auf Deutsch, wie ich erstaunt feststelle. Und Abzocke kann man sich hier nicht leisten. Stattdessen faire Preise, freundliches Verhalten, klar könnt ihr noch reinkommen und noch was essen, was bedeutet schon Mitternacht, was wollt ihr denn gern haben?

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Wir haben einen Pool. Ich hatte noch nie einen Pool. Wir berichten uns von den Familienurlauben. Ich hatte offensichtlich noch nie einen Familienurlaub.

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Ich hätte noch ein Handtuch mitnehmen sollen, habe aber nur eines aus diesem schnelltrocknenden Superstoff dabei. Das zählt nicht, findet sie, und Gepäcksparsamkeit zähle auch nicht. Dabei habe ich als Zeichen meines guten Willens alle kurzen Hosen mitgebracht, die ich besitze. Nun, es soll mir nicht helfen.

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Immer noch unsicher.

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Ich versuche, meine innere Emigration zu erklären.

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Am Strand zu sitzen ist Strafe. Schwimmen und im Wasser albern ist super.

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Der Autoverkehr ist angenehm, es wird mäßig schnell gefahren und wild eingeschert.

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Wenn wir an der Rezeption vorbeilaufen, erhasche ich einen Brocken Internet und empfange die Grüße derer, die an mich gedacht haben. Habt Dank, schreibe ich ihnen, und je nachdem schreibe ich, daß wir in den Bergen oder auf der Insel sind. Stimmt ja beides.

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Schlechte Nachrichten am Wandfuß. Hoffen bis Freitag. Na gut, bis Samstag. Ich hoffe ja immer, irgendwie.

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Wir suchen unsere Kletterfelsen. Klettern langsam, mit langen Pausen. Und plötzlich sind sie um, die vier Tage.

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Heute Regen.
# |  Rauchfrei | Gas geben