Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Mittwoch, 30. 01 08

30.01.08, 00:54 | 'looking at the world over the rim of my tea cup'
"Ich sammle Lebensentwürfe", hätte ich ihm sagen mögen, wie er da vor dem Rechner saß und mir von den Pokerrunden im Labor erzählte, von den Rennen mit den ferngesteuerten Autos und dem Quatschen mit Mitarbeitern und Professoren, davon, wie sie sich abends eine Pizza kommen ließen, ins Institut. Wie er sein Leben in die Waagschale warf, für dieses Studium, und wie es ihn nährte.

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"Ich sammle Lebensentwürfe", hätte ich ihm sagen mögen, wie er da auf dem Vordersitz saß, jedes Lied aus dem Radio an den ersten Takten erkannte, immer beteuernd, das sei Musik aus seiner Jugend gewesen, und wie er vergaß, uns an der Kreuzung in seine Straße abbiegen zu lassen und wir eben noch einmal ums Karree fuhren, wie er uns lobte und die Köpfe verdrehte, die er zuvor noch so konziliant gewaschen hatte, mir, dem "Bill Gates von der Alb" und dem Zimmerer, wie er uns einlud zum Frühlingsfest und uns erzählte, was man sich nur Menschen zu erzählen getraut, denen man sich im Sturmschritt nähert, ohne nach Grenzen zu tasten, alle Vorsicht über Bord.

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"Ich sammle Lebensentwürfe", hätte ich ihm sagen mögen, wie er da vorn an der Tafel stand und uns seinen Abschied bekanntgab, einer zufällig zusammengewürfelten Truppe, und unsere Hauptfächer wissen wollte, und über seine Erfahrungen mit der Universität sprach, sein Forschungsprojekt erklärte und immer wieder kundtat, daß dies sein letzter Versuch und er somit mit "allem durch" sei; wie er uns am Ende viel Glück wünschte, privat und im Beruf, die Arme verschränkt, und damit schloß, daß es ein verdammt geiles Gefühl sei, Ingenieur zu sein, und daß wir darauf hinarbeiten sollten; ich erinnere mich noch an ihn vom ersten Semester - wir waren neu und unsicher und er das Arschloch, weil es sich leichter gegen jemand anderen als gegen einen selbst kämpfen lässt; ich bin völlig unfähig, mich hier verständlich zu machen, und doch ergab alles, ergaben die letzten Jahre in diesem Moment einen Sinn und bekamen einen Zweck, nur weil ich mich getäuscht hatte und diese Täuschung gerade rechtzeitig aufflog, bevor sie zur Wahrheit hätte werden können, und wie so oft stellte ich meinen eigenen Entwurf zur Diksussion, nur für mich und nur um festzustellen, daß die skizzierten Linien dick und gerade geworden sind und sich ins Papier eingegraben haben, von wo sie kein Radierer mehr vertreiben kann. Und es fühlte sich gut an, ob richtig oder falsch oder unentscheidbar, es fühlte sich alles gut an und - machbar.
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