Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

03.05.17, 19:25
Morgen ist Mathe-Abitur, schreibe ich der Schulfreundin und achte dabei auf den Bindestrich, der im Telefon nur allzu leicht zu einem Gedankenstrich wird. Wie diese Automatismen und mein Überdruss, sie immer und immer wieder zu korrigieren, das Schreiben verändern, wundert mich immer wieder. Auch das fehlerfreie Schreiben älterer Menschen, die gerade erst in den Kurznachrichten angekommen sind und jetzt lernen, mit kurzen Sätzen das Organisieren des Lebens zu erleichtern und mit kitschigen Bildchen das Ertragen desselben zu erschweren. Sei es drum, eine dieser Damen, die mir ab und zu schreibt, ist nur neun Jahre zur Schule gegangen, dann zur Arbeit, das Streicheltelefon ist ihr noch sehr fremd in der Hand, und doch stimmt jedes Wort, jedes Zeichen. Und dann erzählen mir andere nach dreizehn Jahren Schule, es brauche ein Studium, um überhaupt noch Schreiben zu lernen. Ich glaube, daß ein Studium da auch nicht mehr hilft, denn wer nicht lernen möchte, hatte auch dazu meist lang genug Gelegenheit. Ich glaube das auch, weil ich doch ab und zu Bewerbungen lesen muß, von Leuten, die bereits einen Teil dieses Studiums hinter sich haben, in dem sie ganz offensichtlich eben nicht schreiben gelernt haben, und für Fachliches bleibt dann meist auch keine Zeit und kein Können, stattdessen die über die gesamte Schulzeit eingeübte Verweigerungshaltung. Na, denke ich, vielleicht im Master. Master of Kommasetzung, und vielleicht noch den Genus der verwendeten Lehnwörter, und wenn ich nur leise murmle, daß das Faible ein Neutrum ist, dann wird mir bereits Arroganz unterstellt. Kann man wohl nicht mehr wissen, ohne die Nase oben zu haben, und eine Korrektur erträgt erst recht keiner mehr. "Warum sagst Du sowas?" brummt mein Telefon, und ich beende mein inneres Gezeter, das ich aus meiner Ecke des Internet als Krückstockgefuchtel kenne und liebe, weil ich dann immer über mich selbst lachen kann. The times, they are a-changin' schreibe ich der Freundin, die ein knappes halbes Dutzen Sprachen schreibt und liest und versteht und spricht, die sich aufregt über das fehlerhafte Spanisch der Kubaner und sich längst von zahnlosen Mütterchen die Zipperlein auf Hebräisch erklären lässt, was sie mittlerweile derart beherrscht, daß sie schon in dieser Sprache mit mir geschimpft hat. Hilft natürlich genauso wenig wie in jeder anderen Sprache, weil einem Dickkopf manchmal einfach nicht zu helfen ist. Was wir getan haben! schreibe ich, und: Wo wir heute sind - wer hätte das gedacht?
Ich sinniere noch ein wenig, während ich die letzten Renovierungsarbeiten in meiner Wohnung plane, mir ein tomatentriefendes Abendessen koche und seit langem mal wieder zum Training verschwinde, um dort Waffen abzuwehren und mich dafür zu Boden werfen zu lassen. Meine Beweglichkeit hat nachgelassen, klage ich, und habe doch zig Jahre gebraucht, um mich einfach so in dieses Training zu getrauen, statt davon zu träumen. Ein Schläger werde ich nicht mehr, denke ich, als ich an einem vom Mundschutz verzerrten Gesicht vorbeiziele, und doch koche ich schneller über als früher, so scheint mir, wenn ich wieder zu zetern beginne. Ich bin weniger zäh als früher, denke ich, wenn ich gähnend den frühen Morgen verfluche und an die Jahre denke, die ich in der Erinnerung schlaflos verbracht habe.
Ich freue mich einfach, schreibe ich irgendwann der Freundin, daß ich Dich bald wiedersehe.

Rauchzeichen




hora sexta   |   27.05.2017, 00:31   |  
Arroganz, genau, das ist das Attribut, mit dem sie die belegen, mit dem sie die moralisch angreifen, die ihnen überlegen sind, und daran ist ja kein Zweifel.

texas-jim   |   22.06.2017, 00:02   |  
Leider kann ich mich davon nicht freisprechen.
Mitrauchen
 


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