Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

06.01.12, 00:12
Es war Heiligabend. Spätnachts. Der Letzte auf dem Heimweg, eine Spritztour, von der Straße abgekommen, zwei Bäume zerschrammt, ein zerdellter Audi. Ich horche still zu, lese Todesanzeigen und Beileidsbekundungen im Netz. Kapsele mich ab. Gut gekannt haben wir uns nicht, denke ich mir. Das ist mir lieber so, da kann ich ruhig sein und zuhören. Da gibt es die, die ihn gekannt haben. Da gibt es die Leidtragenden. Ich bin weder das eine noch das andere. Hier bin ich gerne unbeteiligt. Ich möchte doch nicht traurig sein müssen. Ich möchte mir nicht überlegen müssen, ob ich denn nun traurig sein muß. Ob wir uns gut genug gekannt haben. Ob er mein Freund, mein Bekannter war. Wie betroffen ich sein muß, wie betroffen ich mich zeigen muß. Ich habe ihn nur ab und zu gesehen. Zufällig.

Einen Tag nach Neujahr lese ich, daß sich irgendwo jemand in die Luft gesprengt hat. Eigenbau, Umbau, ich kenne den erwähnten Ort gut, ich habe dort selbst schon Silvester gefeiert. Gelernt, was ein Querschläger ist.
Ich rufe nicht an, ich frage nicht nach. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Mir bleiben vier Tage. Einen, den ich mit Einkaufen verbringe. Einen zweiten, an dem ich mich über teure Lampen ärgere, an denen man Gewinde nachschneiden und Bleche abflexen muß. Einen dritten, an dem ich im Sturm über den Hof gehe, Tränkebecken putze und von Kühen gestupst werde. Ich stupse zurück, kraule hinter dem Hornansatz und denke hämisch über Massentierhaltung.
Ein Anruf. Alle wissen es schon. Alle reden. Keine Vorsicht, keine Vorbereitung. Den Mittag verbringe ich mechanisch. Es stürmt, regnet, schneit. Ich bin durchnässt und kalt.
Ich lese die Zeitungsberichte. Schwere Brustverletzungen, auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Zwei weitere Verletzte. Am Alter erkenne ich sie. Auf den Todesanzeigen Deiner Familie und Deiner Freunde bist Du zu sehen, wie Du aus Deiner Baggerkabine herablachst.
Groß warst Du, und stark. Ein Kind, ein Mann. Ehrlich. Überschwänglich, wen Du mochtest. Zornig, wenn Du nicht leiden konntest. Voller Späße. Unbekümmert. Dort, wo Blechschäden ein Lachen wert ist. Wo Blut eine Geschichte abgibt. Ich denke daran, wie wir an der Bar saßen. Du fuchteltest beim Reden, es war laut dort. Wir haben mit ferngesteuerten Traktoren gespielt. Du hast mich gemocht, und das hat mir sehr gutgetan. Ich war stolz darauf, etwas erklären zu können, und Du hast so konzentiriert zuhören können wie Du laut singen konntest. Mir auf die Schulter zu klopfen, daß mir die Knie einknickten, hat Dir Spaß gemacht. Wütend habe ich Dich gesehen, mit hilflosen Tränen in den Augen. Begeistert habe ich Dir zugehört, und genauso begeister hast Du von den großen Baumaschinen erzählt. Vom Quadfahren. Vom Basteln. Von Deinem Leben. Ein Lausbubenstreich, und ein Jungstraum von Maschinen und Motoren. Ein Leben aus der Arbeit, die Dir Spaß machte und aus Spaß an der Arbeit.
Du warst direkt und mutig, und dafür habe ich Dich bewundert. Du warst einer der Freunde, die nach Wochen noch da waren. Nach Monaten. Jetzt bist Du nicht mehr da.
Deine Idee vom großen Knaller hat Dich das Leben gekostet. Auf einem Fest, in einem Moment der guten Wünsche, des Zuprostens, des groben Unfugs.
Es tut furchtbar weh.



Mach es gut, Holger. Wherever you may roam. Ich hoffe, sie spielen Deine Musik. Und ich hoffe, Dir wird nie der Diesel ausgehen.

Rauchzeichen




traumzecher   |   07.01.2012, 10:50   |  
Da wird einem bewusst wie zerbrechlich eigentlich alles ist.
Und wie dankbar man für jeden guten Augenblick sein muss.

texas-jim   |   08.01.2012, 20:00   |  
Ja.
Hab Dank.
Mitrauchen
 

strelnikov   |   07.01.2012, 18:09   |  
Rauhe Alb - warme Menschen - großer Text.

texas-jim   |   08.01.2012, 20:00   |  
Danke.
Mitrauchen
 

wortwahnwitz   |   17.01.2012, 18:37   |  
das hast du schön gesagt. es ist spürbar, wie du ihn mochtest und sichtbar, welch sensibler, aufmerksamer mensch du bist.
mehr kann ich grad nicht sagen.

alles gute für dich

texas-jim   |   19.01.2012, 19:15   |  
Hab Dank.
Mitrauchen