Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Dienstag, 24. 01 12

24.01.12, 23:24 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Mein Leben ist kompliziert. Da passt die Milchkanne nicht in den Kühlschrank in der Büroküche neben die ganzen Pappkartons mit Weißwasser, halbfett. Außerdem nirgends recht ins Auto, weil nicht so recht zuverlässig mit Standhaftigkeit und Dichthalten und so. Eine Glasflasche ist mir dann doch zu riskant, wenn ich so zuhöre, wie morgens meine Tasche allenthalben aneckt, und vor allem, wenn ich mir beim Vesper die bösen Schrammen meiner Birnen anschaue. So stehe ich alter Zauderhansel also mit einer Plastikflasche vor dem Milchtank. Ich bin der letzte, die Spülung plätschert schon. Die Tanköffnung ist größer als der Flaschenhals, und da muß ich dann den Besamungsbecher spülen. Nicht, daß ich empfindlich wäre, aber dann doch so ein bißchen. Vom Tank also in den sauberen Besamungsbecher, von dort in die Flasche, und das alles habe ich mir einfacher vorgestellt, als ich die Flasche zwischen den Beinen im Auto nach hause balanciere. Und das alles fürs Müsli, denke ich, und dann vergesse ich die Flasche morgen früh womöglich im Kühlschrank.
Ja, es gab schon Tage mit trockenem Müsli. Keine schönen Tage.

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Am Freitagabend verpasse ich den Fasching, der früher so wichtig war. So kennzeichnend. Wo ich zu Anfangszeiten in Uniform vor der kleinen Bühne stand, um die Band von den Tobenden zu trennen. Heute erfahre ich es einen Tag später und völlig unberührt.

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So ein umgekrempelter Magen braucht dann doch drei Tage. Wer Freitagabends noch speit, der braucht am Samstag keinen Kaffee. Und zum Mittag nur Suppe. Halbgas am Samstag, Zittern am Sonntag.
Gekrümmt und im Liegen kurz ans Sterben gedacht. Den Gedanken aber verworfen - Magenverstimmung ist definitiv zu uncool.

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Es bläst mir das Stroh ins Gesicht, als wir die Boxen einstreuen. Es bläst mir die Folie vom Silo, die ich eben mühselig hochgezerrt und mit Sandsäcken beschwert hatte. Es bläst mir den Getreidestaub an die Scheibe und den Regen auf die Kameralinse. Die Spiegel sind blind und meine Brille schmutzig. Und wie man dann vorsichtig wird und immer behutsamer fährt. Irgendwann steige ich aus und renne Kontrollrunden um den Mischwagen. Eimer, Schaufeln, Schubkarren haben schon dran glauben müssen. Nicht bei mir, hoffe ich, und am Ende reiße ich mir nur mitsamt den Handschuhen das Armbändchen ab. Nun also wieder ohne Schmuck. Für Routine habe ich sowieso keinen Nerv.

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Ich freue mich, wenn Du aus der Bahn steigst. Auf mich zukommst. Wenn Dein Lächeln ganz langsam zum Lachen wird und Du mich umarmst. Wenn Deine Hand auf meiner liegt, auf der Armlehne, und ich mal einen Schaltpunkt verpasse.

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Nun ist bald Lichtmess, und ich bin der Gitarre noch keinen Schritt näher gerückt. Ganz selten nur die Mundharmonika gespielt. Und träume vom Keyboard. Aber man lebt ja auch vom Wunschunterdrücken, vom Wunscherwarten, vom Wissenwollen, ob da wirklich Habenwollen ist. Wofür arbeite ich, denke ich mir oft, wenn ich nicht kaufe, und daß ich darauf keine Antwort weiß -. Kaufen ist keine Antwort, der Kauf wäre die Kapitulation.

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Trotzdem vielleicht irgendwann ein Streicheltelefon. Begierig lese ich Berichte, schaue mir Programme an, die ich bei Gelegenheit allenthalben beiläufig installiere, wenn sich ein unbeaufsichtigtes Telefon nähert. Probier das mal aus, sage ich dann, aber keiner hat Lust auf verschiedene Karten, auf Punkte, Linien, Koordinatensysteme und Flächenberechnung. Haben Sie das mal versucht? Flächenberechnung aus Koordinaten? Das ist toll, und noch ganz ohne Erdkrümmung!

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Aber ich komme ja nicht einmal recht zu OpenFoam. Daher jetzt: die Abende verteilt. Heute zum Beispiel war ich schwimmen. Das kam so über mich, wo alle von Triathlon und Marathon reden, und abends stand ich dann vor der alten Halle, mit meiner rosafarbenen Tasche in der Hand. Ich erkenne den Eingang wieder, die Umkleiden, sogar die Uhr. Der Kassenautomat ist defekt, die Tür ist offen. Ich ziehe mich um, und dann Bahn um Bahn. Kurz sind sie, und zwischen den Zügen sehe ich die Zierfliesen an der Stirnseite. Die hatte ich vergessen. Ebenso wie die Bikinis, die aufgeschlagene Stirn, den Krankenwagen, die käsebleiche junge Lehrerin, die Blutwolke im Becken. Schulsport. Heute schwimme ich mehr Bahnen als in meiner ganzen Schulzeit. Ich sehe zu den Fenstern hinaus. Beschlagen, blindgeputzt. Es ist lange her, es ist nicht viel geblieben. Ich schlucke Wasser und strample, auch da ist nicht viel geblieben. Ich quäle mich mit Brustschwimmen, weil die fünf Mann im Becken dann doch zu viele sind für meinen wild spritzenden Kraulstil. Schön langsam, und immer gegen Bahnende wieder in Hektik, geraten mir die Beinschläge durcheinander. Ich zähle, wie zwei Tage zuvor bei der Tanzprobe, auf acht, ich weiß auch nicht, warum. Später werde ich mir Videos vom Brustschwimmen im Internet ansehen. Dabei wollte ich doch weniger Internet. Nach einer knappen Stunde sind die Arme lahm. Ich finde den Bademeister nicht, um die läppischen zwei Euro zu bezahlen. Ich trage auch keine Brille, und das Geld liegt ja auch in der Umkleide. Nun. Das Telefon piepst. Eben wird gegen die Sporthalle im Dorf entschieden. Stattdessen ein Regenrückhaltebecken, scheiß doch auf die Seemansromantik. Mit nassen Haaren verlasse ich das Schwimmbad und sitze kurz darauf im Stall, weil der Melkcomputer spinnt. Überrascht stelle ich fest, daß er fast acht Jahre durchgehalten hat.
Ich höre die Kälber in den Iglus rascheln, als ich über den Hof laufe. Der Frost knirscht. Ich würde trotzdem gerne schön schwimmen können.

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Am Sonntag wollen alle nach dem Essen zur Kletterhalle. Wir sind jung, ungebunden, zum Essen eingeladen und zu faul, um früh aufzustehen. An der Schlange vor der Tür kehren wir um. Kein freies Seil.

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Stattdessen betrachten wir die Möglichkeiten, Fahrräder in ein Flugzeug zu bekommen. Kostet fast soviel wie der Urlaub selbst. Haha. Die Geschichte von der Seltsamkeit der Preise. Da werden Reisen verramscht und Telefone vergoldet. Dienstleistungsgesellschaft, am Arsch na, und auf dem Heimweg über die Dörfer bekomme ich dann einen Moralischen und predige, daß wir es anders haben werden als die Eltern. Als ob es nicht an uns läge. Als ob es an uns läge!
Ich weiß doch auch nicht.

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Die beiden Tanzmädels sind so unterschiedlich und so ähnlich. Ich mag sie beide sehr. Das gelockte Engelsgesicht mit der Kreizkrabbasack-Schwabenschnauze, die sehnige Athletin in kurzen Winterhosen. Es ist ja nur ein Faschingstanz, und mir bringen sie die Drehungen extra bei, Nur den Pistolentanz, den kann ich. Der ist ja doch von uns, den tanzen wir zwei immer, wenn wir uns sehen und beschließen: Fest mit Durchdrehen. Ich kann also einen Takt von drei Minuten, und die Zugabe noch gar nicht. Nur bei der Pyramide werde ich wieder unten durchrutschen, weil schlank und einigermaßen biegsam und schmerzfrei. Nur von der Bühne fallen werde ich vielleicht nicht mehr.
Wir werden sehen.

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Hier reden sie von Samstagen als Werktagen und zwanzig Überstunden im Monat. Irgendwie will ich müde grinsen, aber irgendwie auch wieder nicht. Ohne meine Samstage wäre ich nicht hier. Ach, ich weiß doch auch nicht, zucke ich die Schultern und lehne an der Käfigtür. Das Mädchen in schwarz lächelt mich an, und es fehlt nicht viel, da hätte sie mich mütterlich getätschelt.

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Im Kino waren wir, um überhaupt etwas unternommen zu haben, nach Hundeelend am Freitag und Stallhimmel am Samstag, nach Murmeltierschlaf am Morgen und Nichtklettern am Nachmittag. Mehr durch Zufall sind wir auf diesen Film gestoßen. Ziemlich beste Freunde. Französischer Film. Ein breitnasiger Maghrébin, ein reicher Gelähmter, eine wundervolle Rothaarige. Unperfekte Darsteller, wenig Digitalglättung auf den Gesichtern, und unglaublich viel Freude. "Kein Mitleid. Ich mag ihn, weil er kein Mitleid hat", sagt zwischendurch der Reiche, und dann röhrt wieder der Lamborghini, und die Kippen glühen in Großaufnahme. Eine Autojagd, ein paar große Sprüche. Gleitschirmfliegen. Ein bißchen Behindertenhumor. Nur ein bißchen böse, nur ein bißchen schwarz. Der Film brennt nicht. Und das ist schön. Ich will doch nicht mit einer Keule betroffen gemacht werden. Ich mag das Motiv, ich mag das Thema, ich mag es, daß ein Schweigender ein Kunstwerk verkauft und sich der Gag mit den Ohren durchzieht.
Der Film hat ein Thema, der Film erzählt eine Geschichte, der Film beruft sich auf eine wahre Begebenheit, deren Figuren er am Ende kurz zeigt. Und das ist das Schlimmste: Eben noch hatte ich gelobt, mich an den wirklichkeitsnahen Figuren gefreut. Die Rothaarige mit unreiner Haut und einem Gesäß, das zu ihrer Oberweite passte. Der Maghrébin mit der Nase, mit Schweiß auf der Stirn und diesem riesigen Lachen. So weit weg von den Idealen, dachte ich. Und sah dann die Originale. Und da wurde mir klar, daß man sich heute ja schon freut, wenn nicht alles pastellfarben ist. Nicht alles glattrasiert. Nicht alle Anzüge so gut sitzen wie die Sommersprossen. Und trotzdem. Film und Person. Und jenseits des Filmes noch die ganzen Geschichten, die sonst so vom Rechner ins Kino kommen.
(Ich möchte Ihnen diesen Film empfehlen. Sie werden Spaß haben.)

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Wir zwei. Wir ziehen uns nicht gleich an. Wir mögen nicht die gleichen Menschen. Wir mögen nicht das gleiche tun. Wir sind nicht vom Gleichen fasziniert. Wir möchten nicht im Gleichen Ort wohnen, wir wollen nicht das Gleiche vom Leben. Von dem, was uns trennt, könnte ich schimpfen. Über unser Streiten lamentieren. Doch: wir zwei, wir saßen da zwei Stunden in diesem Film, hielten unsere Hände und lachten miteinander. Und darauf, von allem, allem nur darauf, möchte ich nicht mehr verzichten.

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Vom Planen möchte ich noch erzählen. Daß mir ausgerechnet dafür heute abend die Worte nicht mehr reichen, nun. Mußte ja so kommen.
# |  1 RauchzeichenGas geben