Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Samstag, 27. 07 24

27.07.24, 10:14
Es sind die Tiere, sage ich manchmal. Es ist die Ostsee, sage ich manchmal. Es sind die Freunde, sage ich manchmal. Es ist Verpflichtung, denke ich oft. Und es ist mir ein Fest, wirksam tätig zu sein in einem Feld, in dem ich Notwendigkeiten ohne zu zögern benennen kann. Tiere versorgen, Ernte einholen, Unkraut bekämpfen, Saatbett bereiten. Ich habe einen Jahreslauf eingeprägt und ein Tierleben tief in mir, und ich komme nur ein wenig durcheinander, wenn es um Kulturen wie den Buchweizen geht. Selbst dort stehen die Kategorien fest, doch fehlen mir die Inhalte, die Zielbilder. Und nicht zuletzt ist es der fremde und doch so vertraute Boden, das Klima und das Wetter, das ich nicht lesen kann wie die Einheimischen. Umgekehrt ist es ebenso: wenn ich einige Tage nicht hier bin, verliere ich den Kontakt zum Mais und bin stets erstaunt, wie er denn nun steht, wie er gefärbt ist, wenn ich dann zurück bin. Nicht zuletzt ist es seit langem eine Heimkehr in ein immerwährendes Interesse daran, was ich bewirkt habe in den Tieren, im Boden und den Pflanzen; was sich verändert hat und was zu tun sein könnte. Ich liebe dieses Wissen und dieses Einfügen in die Notwendigkeiten, wie ich es ebenso hasse, dass mir Zeit und Kräfte niemals dafür reichen werden.

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So sitzen wir eines Abends auf der hölzernen Bank unterm Vordach und sehen einem riesigen Vogelschwarm zu, der den großen Baum an der Einfahrt ins Schwingen bringt, bis alle mit einem Schlag auffliegen und den nachtblauen Himmel verdunkeln, ihr Flügelschlag sich zu einem Rauschen vereint, und inmitten dieses Geschwaders möchte man doch keine Mücke sein, denke ich. Weißt Du noch, sagt der Bauer, wie Du einst gesagt hast, dass Du Dir den Beruf danach aussuchen wirst, wie viel Luft er Dir für die Leidenschaft lässt? Und ich denke an das Ehepaar, das ich am Nachmittag kennengelernt habe, als ich mit dem Teleskoplader in der S-Kurve stand und den Weg entlagschaute, und sie hatten eben die Kühe verkauft und verladen und waren nun für einige Tage vor dem leeren Stall geflohen. Der Sohn wollte nicht, sagt der Bauer leise, und wir horchen alle in den Wind, damit er blinzeln und Luftholen kann. Seine Frau hält ihm die Hand, und für einen Moment möchte ich sagen, Lasst mich das machen, doch dazwischen ist das Leben. Es tut mir leid, sage ich und erzähle schnell von den Erbsen, die wir gedroschen haben, und was ich dabei gelernt habe. Ich weiß es noch, sage ich zum Bauern, ich weiß nur nicht, wie ich hierher gekommen bin. Vorwärts leben, rückwärts verstehen, hat meine Oma einst gesagt, und wie es scheint, kriege ich beides nicht recht hin. Kind meiner Zeit, sage ich, und Kind meiner Heimat, und so ergibt sich ein Leben, wenn man nicht gleich richtig drüber nachdenkt.

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Ein einziges, stilles Mittagessen. Wir müssen doch einen Weg finden, denke ich kauend, und wieder übernehme ich mich an Aufgaben, für die ich weder Zeit noch Kräfte, aber was sind schon Zeit und Kraft.

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Stets fahre ich mit dem Gedanken, beim nächsten Mal aber ganz sicher ins Meer zu gehen, auf dem Pferd zu sitzen, mit dem Rad zu fahren. Es ist auch ein Leben dessen, was man auslässt, denke ich dann. Ich wäre doch kein gutes Reitermädchen geworden.

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Stille Momente in der Herde. Wir verlieren unsere Steifigkeit nach und nach, und irgendwann strecke ich halb unbedacht eine Hand aus und kraule das Muttertier. Nie in der Vertrautheit den Respekt verlieren, schallt es in mir, und ich stehe wieder aufrechter, größer, alerter. Dass ich nie einen Menschen kenne, habe ich hingenommen, und nun schmerzt mich noch, dass ich vielleicht auch kein Tier je kennen werde. Als ob ich mich selbst schützen wollen würde! Als ob dieser Tropf und Tor, der hier auf einer Weide im Schilf steht, in schweren Schuhen, zerrissenen Hosen und einem Hemd, das nur noch vom Verschleiss zusammengehalten wird, sich um sich kümmern müsste. Ich schnaube, und wie zur Antwort gesellt sich eine zweite Kuh zu uns. Euch muss ich nichts sagen, welch Glück, und euch kann ich nichts sagen, welch Mangel.

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Schilf und Feldränder mulchen, Weidezäune reparieren, den Hafer ins Schwad legen, einen Mähdrescher reparieren, einen Tisch mit tausend Kilo abholen. Die Tage sind voll und sind vielfältig, und sie machen mich müde, sie machen mich konkret denken und mit aller Kraft handeln. Und sie bringen mich an Orte. So stehe ich in einer Baracke einer ehemaligen Werkzeugschleiferei, die zuvor zu einem Volkseigenen Betrieb gehörte und davor noch zur Kriegswirtschaft. Vielleicht wurde eines der Flugzeuge, die mein Opa geflogen ist, ja hier gebaut. Vor mir steht ein alter Mann, ein Kapitän zur See, und er zeigt mir einen Webeleinensteek, den ich in meinen Spanngurten dann trotzdem nicht haben möchte. Wie anheben das schwere Trumm? Wie sichern? Wie bewegen? Wir wenden tausend Gedanken an, und ich freue mich am Erfindungsreichtum und damit am Menschsein. Streife dann durch die Baracke und bewundere die Tapeten - welche Werkzeugschleiferei hat heute schon Tapeten? und spüre denen nach, die hier ihr Arbeitsleben verbracht haben. Duschen wie Viehtränken, und es weht ein kalter Hauch durch den Raum, der menschliche Bedürfnisse als lästige Notwendigkeiten sieht. Den verspüre ich auch in Büros, nur heutzutage ohne Tapeten, dafür mit Kabinen um Toilettenschüsseln. Kinder einer Zeit.

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Ein Tisch reicht nicht, und so wächst der Stuhlkreis darum weiter. Ganz schön viele Schicksale, denke ich und trinke darob noch ein Bier. So fallen die Schicksale weicher in mich, und so wird mir die vorlaute Zunge schwer, und wohl hinterlasse ich den Eindruck von einem, der nicht viel zu erzählen hat. Ich kann nur nicht, möchte ich sagen, und dann doch wieder nicht. Ich möchte nur nicht über mein eigenes Schicksal meutern diese Woche.

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Ich erinnere mich an einen Abend, als wir um den hölzernen Tisch saßen und uns freuten am Kartenspiel und an abgelaufenen Salzstangen. Und wie ich wehmütig wurde ob der Seltenheit solch freudiger Abende. Und wie wir so montieren, sagt einer, dass er sich erinnert an diesen selten freudigen Abend, und wenn wir alle wehmütig sind, warum freuen wir uns dann nicht einfach, denke ich.

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Auf der ersten Bahn fluche ich alle Heiligen von ihrem Thron mit dem Schwadmäher. Komm nochmal, sage ich entnervt, und dann zwinge ich mein Gefühl von der Haspel, die nur den Halm neigen soll, zu einer, die eingreift in die Stengel und sie auf die Bänder hievt. Sie läuft zu schnell, zu tief, und mit einem Schlag läuft alles. Es ist ein schmerzhaft schönes Lernen, ein Aufgeben, Ausreißen von tief eingebranntem Wissen, denn ein Schwadmäher ist ein Schneidwerk und doch keines. Und das Getreide ist eines und doch nicht. Ich fahre und lerne und irgendwann juble ich den fröhlich auf dem Band dahinsausenden Halmen, die stets garbenweise sich formen und neben mir in den Schwad fallen. Jetzt könnte ich stundenlang so fahren, denke ich, doch irgendwann ist aller Hektar Abend.

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Der Schlumpf hat ein Getriebeproblem, und ich mache noch ein Foto von uns bei der Arbeit, falls wir uns nicht mehr wiedersehen werden. Maschinenwehmut, meine Güte, komm mal klar. Ich tätschle ihm trotzdem das Vorderrad, als ich zum letzten Mal absteige, horche dem Knacken und dem Knistern nach, das dem verflogenen Lärm nachklingt, und dann steige ich durch die Hecke, in die Dusche, in einen Zug. Nach Hause, wo auch immer das für einen ist, der sein Herz an Viecher verfüttert, in Dreschtrommeln schmeißt und im Sand vergräbt. Doch es wird dauern, klarzukommen, und wie so oft stelle ich mich in einen Supermarkt am Bahnhof und sehe den Leuten zu, wie sie mit Lebensmitteln hantieren, sie drücken, werfen, und dann immer zum noch Bunteren greifen, und ich denke an den Haufen Erbsen in der Halle und an den heißen Tag voll Mühen, die uns allein ihre Ernte gekostet hat, bis wir spät in der Nacht am Festzelt vorbeifuhren, an den blinkenden Lichtern und der Musik, und dann frage ich mich, wie eigentlich alle anderen klarkommen, aber sicher bin ich mir nicht.
# |  1 RauchzeichenGas geben

Dienstag, 16. 07 24

16.07.24, 12:02
Tatsächlich gehen mir eigene Texte deutlich weniger lang durch den Kopf als fremde. Doch heute morgen wachte ich auf, noch müde nach der nächtlichen Fahrt durch ein endloses Gewitter über der gesamten Alb, und haderte. Noch finde ich nicht mehr als bemühte und salbungsvolle Worte der Korrektur, daher suche ich weiter nach anderen und lebe bis dahin damit, vielleicht anders verstanden zu werden.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Montag, 15. 07 24

15.07.24, 13:16
Ich versuche. Auf allen Ebenen, in allen Bereichen, und immer scheint es beim Versuch zu bleiben.

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Ich muss in den Logs der bösen Konzerne nachschauen, wo ich letzte Woche gewesen bin, um in meinem Gedächtnis danach kramen zu können, was ich denn dort getan haben könnte.

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Die Woche begann mit einer Prüfung. Der schönere Teil dieses Tages war allerdings die Beschäftigung mit einzuputzenden Dosen für das neue Schlafzimmer, für den elektrischen Rolladenantrieb und das Bett, das einst an einer dieser rohen Wände stehen soll. Dabei fand ich eine schöne Lösung für gerade Dosen und saubere Hände: Ich drehe zwei lange Schrauben in die Dosen, fädle die Kabel ein und schmiere Putz überall hin, wo er gerade haften will. An den beiden Schrauben setze ich die Dose in die Wand und lege dann meine kurze Wasserwaage aus einer Zeit, als Baugeschäfte noch Weihnachtsgeschenke verteilten, auf die Schrauben. Die Dose sitzt, und fast ist es ein wenig schade, dass es nur so wenige sind. Weniger schade ist es um die staubige Arbeit, die Schlitze in den Putz zu schneiden. Doch zum Glück ist der Putz überall dick genug, dass ich nur wenig Mauerwerk schneiden muss. Der rote Staub ist noch böser, und das Mauerwerk soll ja tragen, nicht zu Staub zersägt werden. Es folgt eine lange, müde Heimfahrt.

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Dann die Saat. Ich habe das alles noch bei mir, das mehrmalige Abdrehen und Wiegen, das Einstellen der Maschine, auch wenn ich es nur mehr selten brauche. Umso schöner diese Tage, auch wenn ich in der heißglühenden Kabine zu schmelzen befürchte. Am Abend ein Bier, ein Grill, und wie schön diese seltenen Sommerabende auf der Alb sind!

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Prüfungskorrektur. Es wird noch Tage dauern, bis ich mich von den niederschmetternden Ergebnissen erholen kann. Es wird mich noch sehr wütend machen und sehr traurig, und es wird mir jede Menge an zusätzlicher Arbeit einbrocken, aber das weiß ich noch nicht, als ich mich mit dem Rotstift bewaffne. Immerhin abends darf ich eines meiner liebsten Lernfelder beackern und Knoten üben. Knoten mag ich.

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Auch am Tag darauf habe ich noch den gleichen Beruf und die gleiche Arbeit, nur der Frust wird schwerer. Millimeter und Meter und meine Güte. Das zumindest kann nicht an mir liegen, doch es hilft ja nichts, und voll Wut lege ich kleine Zugangsprüfungen für alle Abschnitte im Online-Teil des Kurses an. Ihr werdet bei mir Einheiten lernen, fluche ich und weiß doch, dass sie auch hier Umwege und Vermeidungen finden werden. Ich würde zu gern diese Lust aufs Lernen übertragen, doch fehlt mir jede Idee.

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Am Abend verbiege ich mich, schwitze auf der Isomatte, die mir fürs Yoga gut genug ist, und sitze dann bei einem Freund auf dem Balkon, schaue auf unseren Hausberg und in die Sterne, radle dann im beginnenden Regen nach Hause.

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Noch ein Korrekturtag, und diesmal verbringe ich einige Stunden davon auf der Terrasse und sage mir, dass ich die angenehmen Seiten des Berufs nur nutzen muss. Bloss nicht auf die Klausuren schwitzen, damit niemand denkt, ich hätte geweint.

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Tour de Ländle, und ich bin immer wieder erstaunt, zu welchen Umwegen einen die üblichen Hindernisse wie Baustellen und Sportereignisse zwingen, wenn das eigene Fahrzeug nur ein ganz klein wenig von der Norm abweicht. Mittlerweile kenne ich Dörfer, die ich mit zugelassenen Fahrzeugen auf legalen Wegen nicht mehr verlassen könnte, weil stets eine Sperrung - entweder auf eine Gesamtmasse, auf eine Achslast oder auf eine Mindestgeschwindigkeit mich dazu zwingt. So führen also Einschränkungen ab einem gewissen Grad an Kompliziertheit zur Ignoranz. Das rieche ich auch auf Veranstaltungen, wo der Grasgeruch mittlerweile wirklich überall zu finden ist. Leider rieche ich Gras nur gern, wenn es frisch gemäht ist.

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Langes Fahren mit dem Rasenmäher, und durch den kleinen Korb nur halb so meditativ wie mit dem Balkenmäher. Leider ist der für Sport- und Spielplätze dann doch nicht tauglich, und so machen wir aus hohem Gras wieder einen dünnen Pelz, damit gespielt und gesportelt werden kann. Welchen Aufwand man im Land dafür treibt, dafür muss man wohl einmal einen Sportplatz gemäht haben.

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Es ist die Zeit zurück, in der Menschen von ihren dauernden Anklagen Auszeiten nehmen. Man erkennt das daran, dass sie nicht mehr über die Autos schimpfen, die irgendjemanden frecherweise zu seiner Arbeit transportieren, sondern um Mitleid für ihr schlechtes Gewissen ob ihres diesmal ganz sicher wirklich allerletzten Urlaubsfluges betteln. Es ist ganz wenig Selbsterkenntnis in dieser Zeit. Wieder andere reden sich die aufgezwungenen Pausen schön, und ich denke dran, wie ich meine Landesdurchquerung mit einem Kanister im Kofferraum vollführt habe, um auf den achthundert Kilometern eben nicht mehr als nötig pausieren zu müssen.

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Schließlich enden meine Urlaubsbetrachtungen mit der Lektüre eines Artikels in einer Tageszeitung, der sich mit den Folgen der Migration beschäftigt. Diese, so führt die Zeitung aus, führe zur Verteuerung und Verknappung, weil Infrastruktur nicht beliebig skaliert und Märkte auf Nachfrage reagieren. So einfach, so klar, doch geht es hier um eine leicht zu regulierende Zuwanderung von kurzer Dauer, deren Träger ihren Aufenthalt selbst finanzieren. Es geht um Urlauber, und es scheint wirklich, als kämen die Journalisten vor lauter Furor nicht mehr zum eigenen Denken. Vielleicht auch mangels Masse, wer weiß das schon. Und natürlich trifft uns das alle in diesen Zeiten derer, die wenig zum Verteilen und dafür viel zu verlieren bieten. Brandmauern, Kontaktschande, sie haben sich ihre Todfeindschaften selbst geschaffen und feiern sie genüsslich. Nur nicht, so sage ich mir, zwischen deren Fronten geraten, an denen sie ihr ganz eigenes Kanonenfutter verheizen mit Wut und Aufregung und sinnlosen Gerichtsverfahren, die feststellen sollen, wen man nun nicht dick und wen man einen Faschisten nennen dürfe. Man scheint nichts zu tun zu haben in diesen Kreisen, und ich wünsche mir nur, dass ihre Abgrenzung auch dergestalt fungieren müsse, dass auch ich von ihren Ideen weniger behelligt werde. Doch ach, es türmen sich die Stapel, wo gemeinsame Kabelanschlüsse entfallen und die Kosten für alle steigen, wo Abgassteuern nach irgendwelchen Schlüsseln zwischen Kostenträgern geteilt werden müssen, wo zur dritten nun noch eine vierte Tonne kommen soll, die keinen Platz mehr findet, wo allenthalben das Papier den Verstand ersetzen soll.

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So verkrieche ich mich in die Beschäftigung mit Trägheitsmomenten und Sensoren und esse am See mein Eis, obwohl die Sonne gar nicht scheinen mag.
# |  1 RauchzeichenGas geben