Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Mittwoch, 1. 05 24

01.05.24, 10:37
Ein oder zwei Male im Jahr werden die Durchschnittslöhne durch die Medien gereicht. Und bevor wie üblich der Streit losgeht, wie schmal oder breit der Streifen zwischen bitterer Armut und obszönem Reichtum denn sein darf, wird in schöner Regelmäßigkeit auf die eingeschränkte Aussagekraft des Durchschnitts hingewiesen. Bis zum Median reicht der Wille zur Aufklärung meist noch, aber quadratische und geometrische Mittelwerte werden dann schon gar nicht mehr betrachtet. Derzeit geistern statt der Löhne die Arbeitszeiten durch die Medien, und dabei gehen die Medien, allen voran der ehemalige Kanzlerkandidat, noch einen Schritt weiter zurück und betrachten nur die Summe der geleisteten Arbeitsstunden. Man muß schon ein Weilchen graben, was den Vorteil hat, ebendiesen ehemaligen Kandidaten weit hinter sich lassen zu dürfen, um wenigstens den Hinweis zu finden, daß der Durchschnitt sinkt, auch wenn die Summe steigen mag, der einzelne im Durchschnitt also weniger Stunden leistet. Bis zum Median reicht es dann nicht mehr, und ein Schelm, wer mehr als den Willen zum allzu frühen Feierabend dahinter vermutet.
# |  4 RauchzeichenGas geben


01.05.24, 09:40
Gestern ließ mir mein Kalender Luft zum Radeln. Ich hätte natürlich auch arbeiten können, doch daß am Vorabend bereits hinter meinem Büro Silo gemäht wurde, das nun in Mahden auf den Ladewagen wartete, überstieg die Grenzen meiner Motivationsfähigkeit. Wäre ich König, würde ich die Ferien wieder auf die Erntezeiten legen. Dann dürfte ich bei der Ernte helfen, und allen anderen wäre mit schönem Ferienwetter auch gedient.

#
Ich traf auf unerwartete Steigungen. Auf freundliche Baggerfahrer, die mich trotz Sperrung durch ihre Baustelle ließen. Auf ein Märchenschloss. Und auf ein Kloster, das mit grauen Betonsteinen weitläufig umfriedet war. Am liebsten hätte ich dort geklingelt, um zu fragen, ob die Mauer gegen Eindringlinge oder gegen Flüchtlinge gerichtet sei, aber dann fiel mir auf, dass eine solche Gehässigkeit gegenüber der Institution Kirche heute nicht mehr funktioniert - die Begriffe haben sich verändert, ihre Bedeutungen für manche gar ins Gegenteil verkehrt, und überhaupt sind Grenzen und deren Überwindung auf der einen und Verteidigung auf der anderen Seite uns doch deutlich näher gekommen, als wir gehofft hatten in den letzten Jahren. Und die Benediktinerinnen können vermutlich am wenigsten dafür. Nachdenklich fuhr ich weiter und merkte erst am nächsten Hügel, dass mir das Kloster ein Geschenk gemacht hatte: Demut in der wohl schönsten Landschaft der Welt. Dabei hilft mir, wie immer beim Radfahren, auf den Boden zu blicken, der asphaltiert, geschottert oder nur getrampelt, sich unter mir bewegt. Langsam, wenn ich bergauf fahre, und zu bewegten Streifen verzerrt, wenn ich bergab juchze. Auf einem Hügel sehe ich auf, und vor mir stehen die Alpen. Weit entfernt im Dunst entziehen sie sich meiner Fotografie, und doch tragen sie ihre Schneedecken weißleuchtend und ihre Größe majestätisch grau mit sich. Ich habe die Berge sehen dürfen; mit diesem Gedanken verbringe ich den Rest des Tages. Habe ich also von der Kirche, die mich mit Mauern abgewiesen hat, mehr mitgenommen als vom Schloss, durch dessen Hof ich frei radeln konnte.

#
Die schönste Landschaft der Welt. Dieser Satz ist mir entglitten, und ich kann ihn nur dadurch retten, daß auch dort irgendwie noch Alb ist. Ihr Vorland quasi, auch wenn das hier Oberland ist und langsam ins Alpenvorland übergeht. Doch was ich liebe, muß Alb sein, und wenn sie bis in die Ostsee reichen muß. Immerhin stehe ich auch dort am liebsten auf dem Berg, und sei er auch nur zwanzig Meter hoch. Wenige Wochen nur noch und eine grausige Nachtfahrt vor mir.


#
Meine Sehnsüchte, Licht und Luft. Immer wieder die kleinen Gehöfte in den Hügeln, die vor mir auftauchen, ab und an ein Schlepper in den Feldern. Darauf einmal eine junge Frau, die mir freundlich winkt. Auf den Balkonen hängt Wäsche in der Sonne, und überall verstreut Spielzeuge in den Gärten. Höchstens Sichtnachbarn zu haben, denke ich mir im Vorbeiradeln, als ein Lebensziel, und mir kommt die Stadt noch schlimmer vor als sonst. Nehmt ihr die Städte, singe ich vor mich hin, und lasst mir die Fluren, aber dann lande ich doch wieder bei Auld lang syne, wie so oft auf dem Rad.

#
Als ich nach Hause komme, treffe ich im Keller den ersten Nachbarn, der gerade sein Fahrrad aufräumt. Dann im Erdgeschoss die Nachbarin, die eben ihren Hund hinausträgt. Und zuletzt in meinem Stockwerk die Nachbarin, die eben in der Tür steht. Ich habe nun mehr als ein halbes Jahr niemanden getroffen, und heute alle auf einmal. Ich stelle mich kurz vor und erkläre die Notwendigkeit, dass es bei der Renovierung etwas lauter werden könnte. Allenthalben Zustimmung, fast Enthusiasmus, aber vielleicht habe ich doch zu viel Straßenstaub in den Augenwinkeln.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Montag, 29. 04 24

29.04.24, 21:30
Immer donnerstags denke ich über den Stammtisch nach, an wenigen Donnerstagen schaffe ich es. Ich rieche dann nach Rauch, sitze auf einem unbequemen Hocker, während es von hinten zieht und meine Hosenbeine in der Ofenwärme fast kochen. Ich amüsiere mich königlich dort.

#
Ich lahme mich durch reine Bürotage. Daß ich kein Ende finden muss, wollte ich eben als Grund anführen, aber das stimmt nicht. Ich muß jede Woche ein Ende finden, ein ums andere Mal. Vortragen, vergessen. Wiedervorlage für die nächsten dann. Immerhin sehe ich an meiner Arbeit und in meinen Unterlagen, wie mich jeder weitere Durchgang verbessert.

#
Im alten Ritterhaus hole ich eine Festplatte ab, streichle den kleinen Hund, der kräftig mit dem Schwanz wedelt, daß er immer den Kopf schütteln muß. Ich lasse mich loben für mein bißchen Hilfe, sage Dank und verschwinde schnell.

#
Im Sonnenschein in die Stadt, im Halbschatten trage ich auch dort mein Wissen zu Markte. Draußen Gelächter, weil Sonnenschein.

#
Am Abend lasse ich Geräte brummen, kippe Mittelchen in Tanks und hoffe, daß sie auch im Notfall auf den ersten Zug am Seil hin anspringen und ihre Mühe in die Welt brüllen werden. Ich stehe im Lüfter, den ich als Last angeschlossen habe und schaue ins Geäst des ergrünten Baumes, den ich von unten beleuchte, seiner Schönheit wegen. Und wegen der Last natürlich.

#
Ich schreibe das Herrenrad aus, das mir zu wenig Freude gemacht hat, und für dessen Ersatz ich gerade mal ein paar hundert Euro und einen Entschluß gebraucht habe. Es meldet sich jemand, der gleich vorbeikommen möchte, aber zahlen nicht so gern, und jemand, der selbst drei ganz ähnliche Fahrräder ausgeschrieben hat, aber leider bis spät abends arbeiten muß.

#
Bürozeit, es ist doch immer Bürozeit.

#
Natürlich ist auch für Theater Zeit, und so finde ich mich mit einigen älteren Damen ein und wundere mich, daß ich auch hier wieder ein sehr seltenes Hobby gefunden zu haben scheine. Ich soll den Verwalter spielen in der Geschichte des geteilten Dorfes, doch ich möchte auf der anderen Seite stehen, sage ich, denn so ganz überwunden ist diese Teilung noch nicht nach gerade mal vierhundert Jahren. Sie guckt konsterniert, die professionelle Regisseurin, doch einen Moment später bin ich Baron. Dabei wäre ich auf der richtigen Seite auch Bauer geworden, doch das ist keine Geschichte mehr wert.

#
Ich bestaune eingefärbte Pflöcke in einem Acker, und wenige Stunden glänzt schwarz dort die Erde. Erneut ein Kauf, erneut presst die Industrie ihre Geldmittel in den Boden der Alb. Was sie dort herauspressen möchte, aus unserem schweren Lehm, es ist kein Rätsel, es ist eine Drama, und vielleicht in vierhundert Jahren Grund für ein Theaterstück.

#
Wie groß ein Gebäude wird, wenn es voll Rauch ist, wenn ich mich wie gelernt im Sitzen bewege, ein Bein unterm Körper, das andere tastend voran, einen Schlauch bei mir, auf dem Rücken eine Flasche aus Stahl. Ich schaue durch eine Maske in ein Weiß, das die Helligkeit meiner Lampe nicht verträgt. Einen von zweien finden wir, und beim nächsten Mal werde ich sicher auch in die Badewanne hineinschauen, wo der zweite lag, auch wenn ich den Holzkameraden auf der Wärmebildkamera freilich nicht sehen kann.

#
Es dauert einen Augenblick, bis ich mir unangezogen vorkomme. Die Damen stecken die Köpfe zusammen, wo nun der Kopf wieder rasiert ist, wie ich es zwanzig Jahre gewohnt war, und wo nun das Leibchen wieder verbleicht von der Sonne ist und die Hose ein Erbstück, das mir passabel passt. Ich kann nur hier sein, und selbst das fällt mir schwer.

#
Ich arbeite mich durch Daten, deren Struktur ich nicht verstehe, auf einer Festplatte, die ich vor Jahrzehnten wohl gekauft habe, und die nun wenig Bereitschaft zeigt, das ihr anvertraute zurückzugeben. Datengräber nannten wir die großen Platten einst, und dazu werden sie alle, wenn wir ihnen nicht rechtzeitig Vertrauen und Daten entziehen. Ich muß nichts tun, als noch mehr Platz bereitzustellen, denn durch meine mehrteilige Strategie werden gerade kaputte Daten eher mehr als weniger. Die Obszönität, Terabytes mit verwackelten Bildern zu füllen. Ich versuche also, zunächst die Struktur zu retten. Damit soll die Besitzerin wieder arbeiten können. Dann die Daten selbst, die ich nur ohne jede Struktur kopieren kann, aber zumindest vollständig scheinen die meisten zu sein. Mein letzter Schritt ist dann ein weiteres Werkzeug, das verspricht, Daten und Strukturen retten zu können, aber beides nur so halb. Eine schnelle Suche nach Duplikaten noch, und so wandert meine nächste Platte als Leihgabe von mir. Zurück kamen nur wenige, unter anderem die defekte, die nun ruhen darf.

#
Ich finde dann doch in den Wiener Walzer, ich weiß nicht, wie es ging. Plötzlich ist er da, der Tippelschritt.

#
Nicht einmal die Zahnbürste vergesse ich auf dieser Fahrt in die zerteilte Woche.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Montag, 22. 04 24

22.04.24, 18:37
Und während ich heute morgen behutsam auf Sommerreifen durch leichten Schneefall gen Süden fuhr, gab ich ohne viel Nachdenkens ein Ziel ganz im Norden vor. Es wird Zeit, dachte ich mir irgendwann, als die zu fahrende Strecke immer länger wurde.

#
Irgendwo ist mir eine Hoffnung zerbrochen. Eine Idee von Resonanz, auch wenn es das wohl auf der ganzen Welt nicht gibt. Es hat Wochen der Traurigkeit gebraucht, um den Bruch erkennen zu können, und es war eine seltsam stille Traurigkeit. Eine, die mir leicht wurde ab und zu, in Gesellschaft oder unter dem Druck, den Menschen ein Mensch zu sein. Und eine, die mir schwer wurde in den vielen, stillen Stunden dazwischen.

#
Aus vielen Entscheidungen wird ein Schicksal.

#
May you stay, sang Bob Dylan einst, und ich glaube, nur in diesem einen Lied sang er wirklich, forever young. Welch gnadenvoll grausamer Wunsch.

#
Ich hasse es, wie sie alt werden, wie sie grau und faltig werden, und es hilft mir nichts, daß sie aussehen dabei wie junge Hüpfer, wenn sie doch nicht mehr springen wollen. Ich habe so gern gelacht mit euch.

#
Ich bin so voller Worte, daß keine Sätze daraus werden wollen.
# |  Rauchfrei | Gas geben