Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 21. 10 19

21.10.19, 10:25 | 'Heller als tausend Sonnen'
Zu Anfang Zögern. Dem Fernbleiben so nah. Und überhaupt habe ich zu tun.
Dann die düstere, stickige Hütte. Drinnen werden Stühle geräumt, um mir Platz zu schaffen, und plötzlich sitzt eine am Rand, bevor sie es recht mitbekommt. Mein Herz ein Tauchsieder, brüsk lehne ich ab. Mir soll niemand weichen müssen. Mit einem Teller setze ich mich draußen in die Sonne auf einen der großen Steine. Wie weit die Abstände zwischen den Felsen waren, wie viel Mut zum Sprung zwischen ihnen lag, als die Steine noch größer waren und ich kleiner. Eine Bande von Kindern umturnt mich, springt von Stein zu Stein mit wehenden Haaren und offenen Jacken in der frischen Oktoberluft. Wie immer wenden sie sich dem zu, der einfach da ist. Ich habe keinen Auftrag, werde keinen Sprung verbieten und keine Jacke zwangsverschließen. Rote Nasen, rote Wangen, Geschrei. Hübsche Kleidchen werden angehoben, gute Strumpfhosen reißen an den Knien, und gute Schuhe matschen durch den Dreck. Sie erzählen mir von den Pferden, den Kinderbüchern, dem Basteln. Und Weihnachten. Jetzt schon, frage ich, und Ja! rufen sie, denn nach diesem und jenen Geburtstag - man ist von mir unbemerkt neun geworden, welch Skandal am Rande - sei immer schon fast Weihnachten. Ich bin nicht mehr sicher, ob ich auch schon einen solchen Jahreslauf hatte: in meiner Erinnerung war ich jeden Tag aufs Neue überrascht von der Welt. Es war doch immer alles anders, alles neu. Irgendwann kein abendliches Futterholen mehr, dafür mehr Spielen auf dem Heuboden mit dem abschließenden Sprung in den großen Haufen Heu auf dem Futtertisch. Schnee und Dunkelheit.
Inmitten der Kinder löst sich die Spannung. Daß einer draußen auf einem Stein essen kann statt drinnen am Tisch, die Beine im Schneidersitz verknotet statt anständig unterm Stuhl, den Teller mit Brot auswischen! Ich blinzle und frage nach. Ob es im Buch denn auch eine Chefin gibt, ob das Pferd denn groß ist für ein Pony, und wie springt man überhaupt richtig?
Nach dem Essen die Erwachsenen. Nach und nach tröpfeln sie durch die Tür, ziehen die Jacken zu und die Krägen hoch. Ich kremple die Ärmel weiter auf, will auch eine rote Nase kriegen. Ich finde einen oder zwei, werde von anderen gefunden. Großmütter schimpfen mit ihren Kindern, weil die nicht mit ihren Kindern schimpfen. Vielleicht muß das so sein, denke ich, und immer wieder lugt der Gedanke ums Eck, wann es denn so sein soll.
Kaffee und Kuchen. Wir sitzen und erzählen uns Welten. Eines von vielen Leben, eine von vielen Möglichkeiten. Die eigene Prägung erkennen anhand der Varianz der anderen. Dazu stehen, daß man sich entschieden hat. Trotzdem gut finden, annehmen, vielleicht auch etwas abschauen. Von diesem Jahr keine Geschichte, die gehören alle noch mir. Ich erzähle vom letzten Jahr, vom Bad auf dem Friedhof und vom Zug auf der Brücke. Dafür bin ich nicht den Amazonas hinaufgefahren, und es ist gut. Vom Suchen und Finden, und wie man das eigene Fundament erschüttert und festigt. Ich gehöre zu den Letzten, pudelwohl. Nach Hause, schnellschnell, es gilt noch zu tun. Und dann, als das Licht schon gelöscht ist, ergibt sich Schönes: Reden im Dunkeln, daß ich die Wärme der Worte und den Hauch eines Atems spüren kann.
# |  Rauchfrei | Gas geben