Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Donnerstag, 25. 07 19

25.07.19, 07:09 | 'Night after night'
Er war der Sandlerkönig, er war wie der Wein,
ein Vagabondo del amor so echt und rein.
Er war der Sandlerkönig, er war wie der Wein,
doch wie bei Romeo und Julia - es hod net soll'n sein!
Lange her, und hätte man mich nach Liedern dieser Band gefragt, ich hätte den Sandlerkönig womöglich nicht einmal mehr nennen können. Nun stehe ich aber hier im Schloßhof, einen Plastikbecher in der Hand, der Himmel in allen Farben blau, auf der Bühne die ersten Takte nach einer längeren Einleitung, die so mäandernd daherkam, daß ich bis zur Musik nicht wußte, worauf man hinauswollte - und es hatte mich, ganz bräsig gut unterhaltener Gast, auch nicht gekümmert. Nun horche ich dem Echo der letzten Sätze in mir nach, bis die Musik sie wegspült. Diese traurige Geschichte, die abstruse Freude daran, sie immer wieder erzählt zu bekommen. Zehn Jahre her, daß wir das Lied vom Gevatter sangen, im Bus stehend, vom Trinken ebenso gefühlsduselig wie grob geworden, uns in den Armen hielten und wir ihm damit ein Lächeln abrangen. Lange Haare trug er, das Gesicht schon gezeichnet, einer von den Guten, von den ganz Guten und durch Glücklosigkeit, durch ein unbenanntes Fehlen von irgendwas auf einen Weg getrieben, den er die nächsten Jahre fortsetzen sollte, wer hätte das damals schon gewußt. Alle bis auf mich vermutlich, schelte ich mich. Ich sehe ja immer Himmel und nie Abgründe, nur Flügel und keine brennenden Triebwerke. Bis einer heult, wiederhole ich den alten Spruch, den ich so mag: man sieht es dann doch kommen, den Aufprall, die Tränen, seufzend, freut sich am Toben doch zu sehr, um alles abzuwenden. Gehört dazu, vielleicht, vielleicht auch nicht, aber lieber hoch und runter, als nie zu fliegen. Die Verführung trägt das Lied, die Verführung, die eine große Sache, fehl und vorbei, als einzige und größte zu bezeichnen, währenddessen vielleicht noch legitim, danach aber tödlich, unverzeihlich falsch, weil sie die Möglichkeit zu Größerem verneint, zu erneutem Aufstieg, weil sie die Anstrengung verunsinnt, weil sie das Aufrappeln allzu sehr beschwert und das Absaufen erleichtert. Wozu noch einmal, wenn man stattdessen Sandlerkönig sein kann, und diese Verführung spüren alle, hingeben dürfen wir uns nicht: Man is not made for defeat, nehme ich wieder meinen alten Mann her, Man can be destroyed but not defeated. Und wie die Strophen über das Gelände ziehen, wird mir der Becher schwer und das Bier schal, denn solang man sich die Unterscheidung zwischen dem zerbrochenen Großen und dem Größten noch selbst zutraut, solang ist alles vielleicht zerbrochen und zerstört, doch nicht besiegt. Und so sitze ich dann später in einem Cabrio, den Kopf im Nacken, die Bäume links und rechts als Schatten, die Sterne bleiben einfach stehen. Ein paar Meter noch zu Fuß, ein paar wenige Verrichtungen noch, dann schnelles Schlafen. Was den einen dann zum Sandlerkönig macht, frage ich mich noch. Vielleicht ist es die Hoffnung, denke ich, die uns auf- und antreibt, vielleicht die Suche nach Größe, Höhe, Weite, vielleicht der Blick nach vorne statt zurück, zu den Sternen statt zum Scherbenhaufen.
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