Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

13.02.25, 11:05
Ich werde nicht schlafen können in dieser Nacht, das weiß ich jetzt schon. Und setze mich daher aufs Sofa. Und weil ich da so selten sitze, stehe ich gleich wieder auf. Nichts zu trinken, nichts zu lesen, nichts zu tun. Ich sitze dann also und warte auf die schlaflose Nacht, und wie ich so warte, schlafe ich vor lauter Warten einfach ein. So geht das also, denke ich, und schlurfe mit einem kurzen Umweg übers Badezimmer Richtung Bett. Dort schlafe ich dann nicht, sondern tippe Einzeiler ins Telefon: Kelle, schreibe ich um kurz vor zwölf, und Handschuhe so gegen eins. Ich habe nämlich etwas vor, und das wälze ich schon so lang vor mir her, dass der aufgewälzte Ball mir groß und größer scheint, aus allzu vielen einzelnen Problemen und Fragen bestehend, deren augenfällige Lösungen ich mir sofort aufschreiben muß, um sie nur nicht zu vergessen.
Am nächsten Morgen erwache ich wie gerädert aus der schlaflosen Nacht. So ist das halt, so ist das immer. Neues, Unbekanntes, Wichtiges. Und vor allem Unkorrigierbares. Du hast das doch schon öfter gemacht, beruhige ich mein flatterhaftes Selbst, und Du hast es Dir auch selbst so ausgesucht. Und natürlich hatte ich stets viel Spaß daran, mich im Kreis der Freunde über und über einzusauen und mir den Muskelkater aus der Hölle abzuholen, nur für ein bißchen Putz. Das macht ein Gipser im ersten Lehrjahr, schelte ich mich, und nun bist Du jenseits der vierzig und willst das immer noch nicht alleine können. Ich bin also schon wieder mittendrin im Karrussell und entscheide mich, darin sitzend wenigstens ein bißchen Spaß zu haben. Ich gehe die nötigen Arbeiten durch und versuche, nicht in die Schwierigkeiten hineinzustolpern, was mir mittlerweile fast noch gefährlicher vorkommt, als sie zu übersehen. Keine Ahnung, wie ich mit der Blechkante umgehen werde. Und mit den Ecken. Wann ich reiben muß, und wann ich besser damit aufhöre. Und wen ich anschreien könnte, wenn ich mir das Schlamassel an der Wand so gar nicht mehr schönreden können werde. Ich lade also das Auto voll und rufe jemanden an, der sich mit sowas auskennt. Der lacht und wünscht mir viel Erfolg, aber zwischen Wunsch und Lachen passt noch ein Markenname, und so bin ich gleich drauf unterwegs zum Baustoffhandel, um den richtigen Putz zu kaufen. Mit diesem wird das Autochen ein wenig hecklastig und fährt sich lustig, und beim Hinauftragen in den zweiten Stock merke ich mir schon mein Alter und meine Schreibtischarbeit an. Auch nicht anders als mit Atemschutz, rufe ich mir zu und stolpere treppauf, treppab, bis alles in der Baustellenwohnung verteilt ist.
Letzte Spachtelmaßnahmen, ein letztes Schleifen. Zuviel, zu wenig? Zu bucklig, zu löchrig? Ich weiß es nicht und nehme daher als Faustregel, daß der Handwerker längst nicht so ein Geschiß treibt wie der Heimwerker. Kurz vor zehn am Abend bin ich staubig wie der Rest der traurigen Wohnbaustelle, und um noch trauriger zu werden, gibt es kein besseres Mittel für mich, als durch eine Stadt zu latschen. So laufe ich also los und lasse das Gespachtel trocknen und den Staub sich senken, laufe in roten Hosen und in grüner Jacke durch die Stadt, und würde mich jemand fragen, könnte ich das sehr gut erklären, daß ich auf dem Weg zu meinem Fahrrad bin, das anderswo steht, und daß die roten Hosen Erinnerung an ein Unternehmen sind, das es nicht mehr gibt, und die grüne Jacke an einen Verein, der sich nur ums Feiern müht, was mir einige Jahre gut gefallen hat und heute schwer und schwerer fällt. Im Supermarkt haste ich die Rolltreppe hinunter, weil es kurz vor zehn ist, und wieder hinauf, weil ich im falschen Stockwerk bin, um zu finden, was ich überhaupt nicht suche. Ein Bier nehme ich mir mit, und der Mann, den ich vorhin überholt habe, lächelt mich an und fragt, ob ich den Markt auch so verwirrend fände. Alles verwirrt mich, sage ich, und vor allem freundliches Lächeln nachts um zehn. Ein paar Häuser weiter betrete ich für meinen Jahresdöner einen Dönerladen. Siebenfünfzig zahle ich, und an meinem Jahresdöner wird man sicher einerseits nicht reich, und bei siebenfünfzig sollte ich vielleicht auf einen Zweijahresdöner wechseln. Luxus kann ich.
Im Büro steht mein Rad, und ich versumpfe noch ein Stündchen vor meinem Bier beim Besuch der Youtube-Universität, wo ich allerhand lustigen Leutchen mit schrägen Dialekten bei ihren Vorträgen zum Thema Kalkzementputz lausche. Irgendwann bin ich hinreichend durcheinander, schnappe mir mein Rad und umkurve die dunkle Stadt, in der die meisten Dönerläden übrigens um acht schon geschlossen haben, und wozu dann noch Städte, denke ich mir, aber das kann einem ja nie jemand sagen. Vielleicht hätte der freundliche Mann von vorhin eine Antwort gewußt, denke ich, aber dann bin ich mit kalten Fingern schon am Fahrradkeller und mit immer noch kalten Fingern gleich schon in der Baustelle. Alles trocken, also Tiefengrund. Munter klebe ich Türe und Fenster ab, nur den Boden spare ich mir. Im Video hat einer ernsthaf die Decke abgeklebt, und das gibt mir wirklich Zuversicht, denn wenn jemand ungeschickt genug sein kann, um eine Decke abkleben zu müssen, und diese Arbeit trotzdem hinbekommt, dann. Ja, dann. Ich streiche also vor mich hin und würde gern noch Staubsaugen, was mich ziemlich an den Gipfel meiner haushalterischen Karriere brächte, doch es ist mitten in der Nacht und es gibt andere Menschen. Menschen, schimpfe ich, Menschen sind der Grund, warum keine Arbeit je gelingen kann. Dann stelle ich noch fest, daß ich bei aller Vorbereitung und bei allen ins Telefon getippten Einzeilern doch vergessen habe, meine Zahnbürste mitzubringen. Ich schrubbe also missmutig und manuell, denn Planung ist ja auch, auf die eigene Doofheit vorbereitet zu sein. Und dann gehe ich zu Bett und knirsche nur leise mit den staubbedeckten Zähnen. Duschen vergessen, auch egal.
Der große Tag, ich bleibe liegen. Ich kann mit dem Lärm noch nicht anfangen vor sieben. Also vorbereiten, Vlies auslegen, Eimer verteilen, den Quirl ausprobieren, hin und her überlegen, dazwischen Kaffee. Die große Mörtelwanne lasse ich stehen, denn vermutlich könnte ich sie voll überhaupt nicht mehr tragen und so viel Putz allein auch nicht schnell genug verarbeiten. Damit der Staub draußenbleiben möge, schütte ich also Putz aus dem Sack in meinen Eimer und sehe dabei zu, wie die Staubwolke durch die offene Tür in die Wohnung zieht. Da aber der Balkon nun auch hinreichend eingesaut ist, nenne ich es einen Teilerfolg, rühre meinen Putz sämig an und frage mich, ob cremig nicht doch besser wäre. Und wer einmal Handwerker gespielt hat, weiß dann auch, daß Worte die Wirklichkeit weder bestimmen noch auch nur annähernd wiedergeben können, und deshalb würde ich jedem Akademiker zur Gipserlehre raten. Ich selbst habe das ja nun verpasst, klatsche also mit der Traufel den ersten Putz in der Ecke an die Wand, in die hoffentlich nie jemand schauen wird. Im Unsichtbaren anfangen, denke ich, als ob mich jemals jemand sehen würde. Eine Bahn auftragen, eine Bahn reiben. Dann die nächste auftragen, und schon misslingt mir der Übergang. Ich reibe und schaue und schaue und reibe, und über die Stunden wächst mir ein ganz klein wenig Wissen in die Hände, das ein manuelles Verstehen ergibt, wo kein Kopf hinkommt. Ich kann den richtigen Druck und den korrekten Schwung der Traufel nicht beschreiben, und ich probiere große und kleine Kreise und Achten mit der Kunststoffreibe. Die Achten lasse ich gleich wieder, die waren eine reichlich dumme Idee. Ich vergleiche mit dem Anfang und sehe jetzt, daß ich an Stellen zu wenig gerieben habe, und ich hoffe, daß ein Überstrich mit Farbe die Flecken übertünchen mag, wo ein Korn nicht weit genug gerollt ist, um die Schlämme überall zu verteilen. Bloß nicht nacharbeiten, denke ich mir, bevor ich dann doch mittein in der Wand eine Stelle nacharbeite, um gleich darauf zu ahnen, daß ich diese Stelle bei jedem Zubettgehen in den nächsten tausend Jahren anstarren werde müssen. Wenn ich hier jemals zu Bett gehen werde können, denke ich, denn die Wände sind noch lang, die Arme aber auch schon, und selbst die wenigen Leiterstufen machen müde, wenn man sie nur oft genug erklimmen muß. Ohne Pausen arbeiten, denke ich mir, damit der Putz nicht anzieht, damit ich nass in nass arbeiten kann, und ich klinge wie mein eigener Suchmaschinenoptimierer mit den wenigen Fachbegriffen, die ich aufgeschnappt habe und wie Mantren vor mich hin sage. Aus dem Fertigen auftragen, immer von der Kante weg, ins Nasse reiben. Und nie wird ein Eimer leer, wenn eine Bahn fertig wäre, das wird sich später als gut herausstellen, weil die Ansätze so unregelmäßig sind, daß ich sie kaum sehen und gut verreiben kann. Ein Eimer gelingt mir deutlich nasser als der nächste, und ich bin ärgerlich gespannt, wie sehr man das nach dem Trocknen sehen wird. Im Streiflicht arbeiten, denke ich und ziehe den glühenden Baustrahler hinter mir her, sodaß ich immer im quer einfallenden Licht und in der vollen Hitze arbeite. Und feucht wird es im Zimmer, denn der Putz schwitzt das Wasser weg. Ich schwitze auch und merke irgendwann, daß sich das nicht ausgehen wird mit dem pausenlosen Arbeiten und der Tageslänge und der körperlichen Verfassung. Ich opfere eine Minute, in der der Putz sumpfen soll, und mache mit zitternden Fingern Kaffee. Zu essen habe ich nichts und finde dann doch ein wenig Müsli, das ich aus dem Kaffee löffle, und einen Block Hartkäse, den ich mir im Studium einst als gut und billig angewöhnt habe, und der mittlerweile gut und teuer ist. So fallen einem Gewohnheiten auf die Füße, denke ich, während ich in das Pfund Käse beiße, garniert mit Tomatenmark aus der Tube, weil Tomaten nun wirklich alles besser machen und ebenso wirklich das Letzte sind, was diese Küche in den Ferien hergibt. Luxus kann ich, denke ich, und immerhin hatte ich gestern den Jahresdöner schon. Wieder Rühren, wieder Auftragen, von den Kanten und vom Nassen weg, und in den Ecken komme ich mit dieser einfachen Regel zum Schluß, aus allen Richtungen gleichzeitig kommen zu müssen, und das fühlt sich sehr strategisch und ein wenig lächerlich an. Zum Glück sehe ich noch nicht, wie weiß gesprenkelt ich bin, und das werden schon nur wenige Flecken auf der Brille sein. Heizungslaibungen, Fensterlaibungen, Steckdosen aussparen, Reiben. Eine letzte Wand noch, es kommen die Nachrichten um sieben im Radio. Anschließend ein Beitrag über ein afrikanisches Land, in dem ein Krieg ausbricht oder wieder aufflammt, genau höre ich das nicht. Stattdessen eine Sprecherin, die mir diesen Krieg als "Konflikt zweier alter Männer" erklären und das Ganze als "Analyse" verkaufen will. Vor einigen Jahren noch haben sie das Lernen für unnötig erklärt, weil man ja alles bei Wikipedia nachlesen könne. Heute wünsche ich mir, sie würden wenigstens das noch tun, bevor sie redeten. Analyse Traufelschwung nach links, Analyse Traufelschwung nach rechts, im flachen Winkel, daß es richtig kratzt, und mit der richtigen Lautstärke des Verputzens wird auch das Radio erträglich leise, dessen Sender ich durch meine Eingesautheit nicht verstellen kann. Ich mache einfach weiter, weil ich mitten in der Wand nicht aufhören kann, und ich mache einfach mit der anderen Hand weiter, wenn mir die eine schmerzhaft abzufallen droht. Doch ich habe mir den Spachtelschwung mit rechts und den Traufelschwung mit links angewöhnt, und bevor ich beidhändig werde, habe ich wohl einen Knoten im Hirn. Es ist ein unsicheres Arbeiten wie am Anfang, schelte ich mich, und dann geht mir auf, dass ich so den Fortschritt spüre, die Übung, die ich in einer Hand schon habe, während die andere noch nichts lernen durfte, und ich bin ja auch hier für Gleichberechtigung und nehme mir vor, die Hände gleichmäßiger zu gebrauchen. Aber wie das so ist mit der Gleichberechtigung, kommt sie doch immer zur falschen Zeit als hehres Ziel daher und stört in der Ausführung das Ergebnis, und so steige ich die Leiter weiter hinauf und trage doch wieder mit links auf, in gekrümmter Pose, langsam müde und müder werdend. Es dauert, bis ich drauf komme, den Eimer etwas höher zu stellen, damit ich nicht mit jeder Spachtel alle Stufen laufen muß, und ich komme nicht recht weiter mit meiner Überschlagsrechnung, wie oft ich diese Stufen heute schon, nun ja. Stattdessen werde ich müder und müder, hungrig und durstig, und irgendwann stehe ich kurz da und muß ernsthaft überlegen, auf welche Kante der Traufel ich den Putz gebe, um ihn sauber von der Deckenkante wegziehen zu können, und da merke ich dann, daß es dem Ende zugeht. Es muß nur das Ende der Wand vor dem Ende des Tages und vor dem Ende meiner Kraft kommen, so hoffe ich und rühre einen allerletzten Eimer an. Nichts übriglassen, denke ich und schaue zurück, wie weit ich mit jeder Mischung gekommen bin, und weil ich im Kreis arbeite, schaue ich nach vorn zum Anfang, wo ein paar Stellen auftauchen mit allzu groben Poren. Zu wenig gerieben, zu spät gerieben vielleicht, und das Kratzen hat sich zu Beginn auch noch nicht richtig angehört. Das nächste Gewerk wird es wohl richten müssen, denke ich und zucke die schmerzenden Schultern, nur blöd, daß ich das selbst sein werde. Eine weitere Bahn und eine letzte noch in der Ecke, und bis zum letzten Strich bleibt es ein Abenteuer, ob mir der Eimer reichen wird, ohne daß viel übrig bleibt, und als es sich ergibt, daß ich es zufällig geschafft habe, keinen offenen Sack mehr übrig zu haben, da freue ich mich dann doch besonders. Im Eimer noch zwei, drei Kellen Putz, die ich zum Ausbessern nehme und doch besser in den Müll geworfen hätte. Nie ausbessern, denn das Flicken ist die wahre Kunst. Ein letztes Mal reiben, und dabei bildet sich auf wundersame Weise diese Schlämme, wird der Putz weiß und glänzend und bildet diese Struktur, die ich mir so gern ansehe in ihrer Ungleichmäßigkeit. Es ist ein Zauber in der Arbeit, und bei aller Müdigkeit treibe ich mich zum Saubermachen, das Werkzeug reinigen, aufräumen, und mechanisch gehe ich hin und her, stehe dann ebenso unter der Dusche und starre in meine Hand mit dem Klecks Haarwaschmittel, der noch groß genug ist für die Haare, die ich vor drei Tagen abgeschert habe, damit sie nicht verkleben können bei der Sauerei. Und ich reibe mich ein, wie ich die Wand eingerieben habe, überall einmal und an den nötigen Stellen länger, bis näherungsweise Ordnung herrscht. Ich räume dann die abgestreiften Klamotten zusammen, auf dem Unterhemd die lustigen weißen Wellen aus Schweiß und Salz. Und heute hätte ich mir das Bier wirklich verdient, das ich gestern schon getrunken habe, und etwas zu essen sicher auch, doch ist es zehn Uhr durch und kein Geschäft mehr offen. So lege ich mich also auf die Matratze auf dem Boden und freue mich am neuen Schlafzimmer und daran, schmerzfrei liegen zu können, denn morgen wird das sicher anders sein.

Rauchzeichen




nnier   |   13.02.2025, 13:13   |  
Das ist ganz toll beschrieben und ich kenne diese Überlegungen und Zweifel davor, währenddessen, danach - aber auch die Freude. Bin längst nicht so versiert und tatkräftig wie Sie, stürze mich dennoch ab und zu in so etwas, freue mich am Gelingen und sehe einmal gemachte Fehler immer neu.

Was mich vor Jahrzehnten weiterbrachte, war der Hinweis eines Freundes: Ja, du machst Pfusch. Aber Handwerker machen auch Pfusch, nur anderen Pfusch. Du, weil du es nicht besser weißt und kannst. Der Fachmann, weil es ihm egal ist (ist ja nicht seine Wohnung).

texas-jim   |   13.02.2025, 15:41   |  
Haben Sie vielen Dank. Ich habe manchmal das Gefühl, diese Wohnung bietet mir einige einmalige Gelegenheiten, die ich nicht verpassen darf. Und die Freude ist, wenn der Tiefpunkt des Abrisses mal überwunden ist, wirklich sehr groß.

Ich glaube, daß Zeit, Geld und Kraft die Arbeit so verändern, daß dieser "Pfusch" entsteht. Und das Verschieben auf die nachfolgenden Gewerke. Böse Absicht und Desinteresse begegnen mir wirklich selten.
Mitrauchen
 


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