Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

13.03.22, 21:19 | 'Heller als tausend Sonnen'
Nach längerer Zeit wieder: die Saat. Ich beobachte den Wetterbericht und den Himmel, ich laufe über die vom Winter gebrochenen, krustigen Schollen und scharre mit den schweren Schuhen darin, die Hände in den Taschen, das Gesicht mit einer nachdenklichen Miene überzogen. Hafer diesmal, und weil Sommerungen so eine Sache sind, habe ich dazu auch meine Bücher zu Rate gezogen und Anbaukataloge gewälzt. Ich fahre mit der Maschine einige Meter in den Acker. Das bleibt nicht aus, es gibt keine theoretische Saat. Ich drehe vorn an einem Oberlenker, damit die Federzinken die Schollen besser brechen. Ich stecke hinten einen Bolzen anders, damit die Kreiselegge nicht so tief arbeiten muß. Ich drehe links und rechts an Spindeln, damit kein Korn an der Oberfläche liegenbleibt. Das mag der Hafer nicht, da er Bodenkontakt und Wasser braucht. Ich erinnere mich an die Tabellen aus den Anbauversuchen der letzten Jahre, wo immer vier, fünf Wochen zwischen Aussaat und Auflauf vergangen waren. Wie viel Ausdauer, wie viel Kraft in einem solchen Korn steckt. Ich fahre mit den Händen durch das Saatgut im Tank, und wie immer wische ich mir die Beize notdürftig an den Hosenbeinen ab. Kein Nasenbohren heute. Doch man vergisst so viel. Vorn ist der Boden fast sandig, trocken und fein, daß meine Walze tief einsinkt. Weiter hinten ist es lehmig und feucht, ein steiler Seitenhang. Wechselnde Bedingungen. Ich denke an die Knappheit an Getreide, die uns vorhergesagt wird, und ein bißchen schüttelt es mich vor den Salonlöwen, die mal eben schnell mehr anbauen möchten, das kann ja nicht so schwierig sein. Aber vielleicht muß man weit, weit zurücktreten und weit, weit über allem stehen, um wirklich eine Lösung zu sehen. Diese wenigen Hektar, die ich mir heute zusammenklaube, sie werden uns ja auch nicht retten können.
Ich schaue auf den Zähler der Fahrgassenschaltung, damit sich hier kein Fehler einschleicht. Davor bin ich gewarnt worden, und wie immer bastle ich mir einen Merksatz: Ungerade geht's der Heimat zu, sage ich immer wieder vor mich hin. Wie schön, wieder hier zu sein, hellt der Blick auf die Erde und in den blauen Himmel mein Gemüt auf. Irgendwo werden die Furchen breiter, man sieht, daß der Pflug ein wenig abgeschmiert ist, und an einer Stelle sehe ich selbst noch eine Pfütze Wasser in den Furchen stehen. Hier bin ich als Kind schon gewesen, habe stundenlang auf einem schmalen Sitz in der Kabinenecke den Scharen zugesehen, die unermüdlich die Erde wendeten, das Grün unterhoben und eine frische, feuchte Oberfläche hinterließen. Schon damals hatte ich die Hände in den Taschen und die Schuhspitzen im Boden. Festgefahren haben wir uns damals, genau hier muß es gewesen sein, da war dieser Flecken Erde noch weit draußen, versteckt am Rande eines vergessenen Tals. Ganz unten ein Bachlauf, ein paar Bäume bildeten ein kleines Wäldchen. Dann Tod, dann Wandel, aber immer Leben. Eine Gasleitung hat man hier gegraben, und ich habe wieder hier gepflügt und gesät. Dann eine Straße, eine Autobahn, sie schneidet durch die Hügel und überspannt die kleinen Täler. Man kann hier sehr schnell von dem einen Stau zehn Kilometer links zum nächsten Stau zehn Kilometer rechts fahren, und ich selbst mache das auch regelmäßig ohne große Begeisterung. Ich bin nie angekommen, denke ich dann, in dieser Art des Erwachsenseins, in dem man zur Arbeit fährt, um sich in ein Gebäude zu setzen und weltferne Dinge zu tun. Nun säe ich hier wieder aus, unter ganz anderen Vorzeichen, aus einer anderen Richtung kommend. Dem Acker ist das gleich, und vielleicht muß man den Boden deshalb über Jahrzehnte pflegen, kennen, lieben lernen. Er antwortet nicht, oder nur in einer Sprache, die so viel langsamer ist, daß es ein Leben braucht, um sie verstehen zu lernen. Wann mein Opa genau diesen Acker unter seine Hände genommen hat? Ich weiß es nicht, ich werde vermutlich auch niemanden mehr finden, der es noch weiß. Die alte, ungeschickte Grenze mit dem ungeschickten Eck wurde längst und zum guten Glück begradigt, und vielleicht verschwindet einst auch die Pfütze in der Furche. Das Wasser findet einen Weg, das Leben auch. Fünf Wochen soll ich nun warten, auf Regen und auf Wärme hoffen, auf Sonnenschein und das rechte Maß dazwischen, bis ich die kleinen Pflänzchen sehen darf in ihren Reihen, heraus aus ihren Betten, dem Himmel entgegenstrebend. Ich bin, so fällt es mir ein, trotz besserem Wissen die erste Bahn auf links gefahren, wo das Spornrad der Sämaschine ständig droht, im leeren Raum der ersten Furche stehenzubleiben. Ich bin langsam gefahren und habe der Kreiselegge Zeit zum Verteilen gelassen und dem Rad zum Greifen in der Erde. Ob es reicht, oder ob ich schmachvoll verdächtig blanke Streifen sehen werde? Fünf Wochen. Erde auf den Schuhspitzen, die Hände in den Taschen, die nachdenkliche Miene mit dem Wetterfrosch im Genick. Staub knirscht zwischen meinen Zähnen, und in der Nase gebohrt habe ich wohl doch einmal, ganz ohne es zu merken. Das Radio habe ich auch vergessen, und wie immer mit mir gehadert, gerechnet und geschätzt, die Bahnen gezählt und zu sehen versucht, ob das Saatgut reichen wird, ob wir richtig eingestellt haben und richtig gelesen und richtig gewusst und richtig gemacht. Und richtig gehofft, am Ende des Sommers. Als ich ein letztes Mal die Maschinen aushebe, den Motor drossle, abspringe und um das Fahrzeug laufe, klaube ich hier und dort einen Klumpen Erde weg. Ich habe, fällt mir ein, nicht einmal drüber nachgedacht, ob man mich sehen würde. Ich war mir einfach sicher, gesehen zu werden. So stark waren eure guten Willen, daß ich mir ihrer heute noch sicher bin. Daß ihr mich seht. Wir werden sehen, so Gott will.

Rauchzeichen




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