Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

08.05.14, 11:59 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Jeden Abend fahre ich die Strecke zu den Proben. Und damit ich das nicht alles mit dem Auto machen muß, fahre ich mit dem Rad ins Büro. Dann mit dem Rad zurück und weiter zur Bahn. Einmal muß ich umsteigen, und dann darf ich auf der bekannten Strecke nicht vergessen, an einem völlig ungewohnten Ort auszusteigen, wo das Auto wartet. Damit fahre ich dann die restliche Strecke. Schnell ist das nicht. Und auf dem nächtlichen Rückweg gerate ich noch in einen Schwarm Betrunkener in Dirndl und Lederhosen. Die Polizei steht am Bahnsteig, jede Uniform eine kleine Insel im Getümmel.

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Wie man einen wissenschaftlichen Beitrag schreibt, lerne ich, und ganz am Rand dieser Schulung lerne ich noch, wofür ich auf der letzten Schulung einer jungen Dame im Gedächtnis geblieben bin: Kletterschuhe und Aufmüpfigkeit. Soso. Nein danke, keinen Kaffee mehr, ich muß gleich los.

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Die Maiennacht verschlafe ich. Erst drei Jahre ist es her, daß ich unter meinem eigenen Maien geschlafen habe. So schnell wird man also alt.

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Fliesen legen im Jugendhaus. Ich stelle das Telefon auf die Fensterbank und lege los. Ab und zu schaut jemand herein, auf dem Weg zu einer Wanderung oder auf dem Heimweg, und jedes Mal höre ich vom Tag der Arbeit, bis ich nicht mehr lachen kann.



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Am Abend Generalprobe. Ich werde geschminkt und frisiert, und am Ende stelle ich doch nur den besoffenen Bräutigam dar, wie ihn sich die Regisseurin vorstellt. Aha.



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Ich richte mich im väterlichen Büro ein, schnappe mir einen Tisch und belagere den. Und es fühlt sich gut an, dieser Rollentausch mit dem Senior, der am Brückentag Rentner spielt, während ich arbeite. Standing on the shoulders of a giant, denke ich, als ich an den leicht vergilbten Wänden hochschaue, die so viel Rauch ausgehalten haben. Fünfundzwanzig Jahre hier. Und immer, wenn ich aus dem Fenster sehe, wedelt freundlich ein Busch mit seinen Blättern. Aus dem Serverraum pusten die Lüfter, und ab und zu mache ich ein wenig Musik. So könnte ich arbeiten.



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Premiere. Ich bin aufgeregt, und wie immer verfluche ich mich vor dem ersten Akt dafür, daß ich immer Ja sagen muß und nie im Zuschauerraum still auf meinem Stuhl sitzen kann. Dann sitze ich doch auf einem Stuhl, auf der Bühne allerdings, drehe mich zu meinen Mitspielern um, das Licht geht aus, der Vorhang fährt zur Seite. Es geht los.

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Ich gehe klettern, ich will einer der ersten in der neuen Kletterhalle sein. Die Griffe sind noch sauber und rauh, die Routen sind leichter geschraubt, als ich es gewohnt bin. Athletisch, aber nicht technisch. Dabei mag ich mich doch winden und plagen, anstatt einfach nur an dicken Armen hochzusteigen.
Irgendwo dann doch eine technische Route. Ich steige vor, die Halle ist ruhig, ich bin motiviert, mache einen Sprung zum obersten Griff. Ich touchiere mit dem Kopf ganz leicht die Hallendecke, meine ich, doch etwas sticht mich. Ich erschrecke mich, zucke und falle. Mache noch einmal den letzten Zug. Als ich abgelassen werde, tropfe ich schon. Aus der Decke schaute eine Blechschraube, und mein Sicherungspartner, vom Baufach, erklärt mir, daß das so sein muß. Ich triefe noch ein wenig auf den neuen Fallschutzboden, denn im Verbandskasten lungern nur ein paar einsame Mullbinden, die ich so auch nicht haben möchte. Sie schreibt den Mangel auf, sagt das eifrige Mädchen an der Kasse, ich tropfe geduldig noch ein bißchen auf die Theke, und ein paar Kletteranfänger, die sich eben noch angestellt haben, gehen schon wieder.

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Am Abend noch eine Aufführung. Ich dusche in der Umkleide und bitte darum, mich mir Haargel zu verschonen. Sie wuscheln mir liebevoll durchs Haar, ich zucke zusammen und fange dann wieder an, still vor mich hin zu tröpfeln. Holzkopf.

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Mahd.


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Der Geruch von frischem Gras und heißem Getriebeöl.

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Wieder dusche ich in der Umkleide, und schon ist die letzte Vorstellung um. Irgendwas haben sie fallenlassen, meine Mitspieler, und die Regisseurin redet von Hätten, wären, könnten. Das kann ich immer weniger ab, je älter ich werde, und so schiebe ich sie von der Bühne. Einmal noch singend einmarschieren, einmal noch ins Bett fallen, einmal noch ein Bühnenbier trinken.

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Silo walzen.


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Betriebswechsel. Meine Theaterfrau schaut vorbei und ist begeistert. Das hat sie noch nie gesehen, sagt sie, und streichelt Kälber, während wir vor dem Silo warten. Ich erzähle ihr davon, daß es aussieht wie Ballett, wenn es richtig gefahren wird.

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Es wird Nacht, es wird wieder Tag.


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Der neue Ladewagen ist furchtbar schwer, und als erstes brauche ich dazu noch Ballast.


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Dem Häcksler geht der Sprit aus, und mir die gute Laune. Wütend pfeffere ich mein Telefon auf den Boden und anschließend hinter den Fahrersitz. Dessen Einfedern bekommt ihm nicht besonders, stelle ich später fest.

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Spät in der Nacht organisiere ich dies und jenes, packe einen Hausschlüssel in einen Umschlag und überlege, ob ich denn traurig sein sollte. Ich wüsste nur nicht, wann, also lasse ich es.

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Noch später in der Nacht komme ich in der großen Stadt an und überlege, ob man an einem solchen Tag, dessen Anfang schon längst verschwunden ist, auch mal auf das abendliche Zähneputzen verzichten kann. Das ist keine Krise, sage ich mir dann, das ist Dein Leben. Aber bevor ich ins Bad schlurfen kann, bin ich eingeschlafen, mit schmerzenden Händen und dem Vibrieren der langen Fahrten am ganzen Körper.

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Der nächste Tag beginnt mit Fingerübungen auf der Gitarre und dem Radweg ins Büro. Sind ja doch zwei Leben, schreibe ich. Und auf dem Rad zähle ich nebenbei die Monate. Halbzeit hier, sage ich, und dann erschrecke ich mich. Noch ein paar Monate, dann ist nach Dir so lang wie mit Dir war.

Rauchzeichen




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