Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Freitag, 5. 11 21

05.11.21, 15:12
Dein Name war immer zweiteilig. Tante Eugenie, im Schwäbischen zu einem Gummilaut zusammengezogen. Dein Name war Wahrheit, wie er nur in dieser Sprache Wahrheit sein kann. Tante sagt etwas aus über eine Zugehörigkeit, über ein Verhältnis, und wen kümmert es da, daß Du die Tante meiner Mutter warst? Durch einen dunklen, schmalen Flur bin ich immer zu Dir gekommen, direkt auf den Holzofen zugelaufen in der großen Küche, den Du bis zuletzt bewahrt hast. In der Stube das Bild zweier Kälber, die Unterschrift "Zwei gute Kameraden". Ich hatte immer kalte Füße, und immer den besten Kartoffelsalat der Welt. Viele Jahre habe ich hier Kranzes gegessen mit eigenem G'sälz, abends Most getrunken und Fisch aus Dosen zu riesigen Brotscheiben gegessen. Zeitschriften auf der Eckbank gelesen, im Stall geholfen und über den Hof gestrolcht. Oft hast Du mich nach Hause gefahren, das Rad im Kofferraum des alten, klapprigen weißen Lieferwägelchens. Du hast einmal erzählt, daß Du Dir als junges Mädchen einen Strohhalm in den Fuß getreten hast, der sich im Gelenk entzündet hast, und fünfzig Jahre später bist Du immer noch gehumpelt. Du hast Dich gefreut, wenn ich da war, und irgendwann bin ich seltener gekommen. Ob Du gewußt hast, wie das war, zwischen der großen Stadt und dem kleinen Dorf? Bestimmt hast Du es gewußt, denn daß Dein Hof da draußen auf dem Hügel, außer Sicht von fast allem, für Jahre meine Heimat wurde, das habe ich Dir zu verdanken. Und eine solche Heimat kann nur bieten, wer dieses Gefühl selbst kennt. Und von dieser Heimat kann ich ein Leben lang zehren. Ich denke an den Gewölbekeller mit dem Bächlein, an die eisernen Körbe, mit denen ich Holz für den Ofen geholt habe. An Schnee an den Schuhen und den Baum, den wir im Haus aufgestellt haben. Hab Dank für alles, für Güte und Kartoffelsalat, Tante Eugenie.


Niemand ist der Herr seines Weges,
und kein Mensch hat die Macht,
den Gang seiner Schritte zu bestimmen.


* am 16. Juni 1935, ? am 9. Februar 2021
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Sonntag, 3. 10 21

03.10.21, 17:41 | 'Nicht drueber nachdenken'
Wochenendenende. Die Wohnung ist still, die Wäsche trocknet im Keller vor sich hin. Ich trinke Wasser aus meinem ebenso geliebten wie vergilbten Messbecher und versuche, mich zum Vortrag aufzuraffen. Ob es für Vorträge in halbfremden Themenwelten wohl eine andere Herangehensweise gibt? Ich sammle zunächst einfach Material zu allen Stichworten, die mir beim Titel einfallen. Überfliege viel, lese mich in dem fest, was mir als Grundlagenwerk erscheint. Suche dann nach weiteren Stichworten, und irgendwann habe ich die Hoffnung, eine Struktur gefunden zu haben, wie die ganzen Stichworte zusammengehören. Die lässt sich allerdings nie, nie, niemals nicht in Folien übertragen. Daran beiße ich dann sehr sehr lang, bin unzufrieden und beiße dann weiter. Diesmal werde ich einen der Vorträge vorab vorstellen und mir dabei wohl überlegen müssen, was ich denn überhaupt vortragen möchte. Das klingt unstrukturiert und ist es auch, aber meist klinge ich dabei zwar etwas zerstreut, aber doch hoffentlich sehr wissend.

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Fahrradkauf an einer Knopfzelle gescheitert - das Display des zu kaufenden Rades wollte nichts anzeigen und die Verkäuferin somit nicht verkaufen. Elektroräder, ich sag es ja. Ich hoffe, es hilft mir trotzdem über die zukünftig noch etwas größere Strecke und meine zunehmende Faulheit. Dagegen etwas unternehmen, demnächst. Bald. Irgendwann. November vielleicht. Denn bis dahin habe ich mir verordnet, Vorträge zu basteln und zu halten. Auf daß es ein gutes Ende nehme.

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Erste Woche mit reduzierter Stundenzahl. Ich bin gespannt und versuche, mein zartes Motivationspflänzchen nicht zu beschädigen. Vielleicht finde ich ja meine Freude wieder.

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Ein Kino besucht, ein Konzert besucht, ein Fußballspiel besucht. Wie ungewohnt das ist. Wie immer scheint es mir, als tauchten die Menschen nach meiner Abwesenheit aus dem Nichts auf - dabei bin ich es, der auftaucht. Distanz hat eben stets zwei Seiten.

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Die Geladenen, die Lachenden, der Bemitleidenswerte, der Geduldete. Ein halbes Außenseitertum, und nach fast vierzig Jahren noch immer keine Idee. Keine Lebenswidmung, die alles erklären würde, keine herausragende Fähigkeit, die ich bewundern würde, keine Stelle mit einem Manager im Titel.

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Zu viel Zimmerluft auf jeden Fall.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Freitag, 1. 10 21

01.10.21, 18:10 | 'Nicht drueber nachdenken'
Ein unsichtbarer Lärm, vor allem deshalb, weil er aus keiner Richtung zu kommen scheint, keine sichtbare Ursache hat. Ich öffne die Augen, drehe mich nach Geräuschen, laufe um Ecken, wenn jemand meinen Namen ruft: um zu sehen. Umso erschütternder dieser unsichtbare Lärm. Allzu rauh, um künstlich zu sein, suche ich nach der Vibration, die ihm zugrunde liegen muß, und kann sie doch nicht sehen. Ganz langsam nur kann ich dem Lärm eine Botschaft entreißen - daß etwas schiefgeht, womöglich ich selbst.

Nur nicht mehr warten.
# |  Rauchfrei | Gas geben