Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Dienstag, 1. 12 20

01.12.20, 14:05 | 'Heller als tausend Sonnen'
Da ein Kollege Geburtstag hat und sich demnächst zurück in die Heimat verabschieden wird, war der Plan, zwei Bier mit ins Büro zu nehmen und die auf dem Parkplatz zum Feierabend gemeinsam zu trinken. Nun ist es aber so, daß ich mit Bier nicht Autofahren möchte, und außerdem war Schneechaos vorhergesagt. Zusammen gute Bedingungen für einen weiteren Büroradeltag über die Alb, für die erste weiße Line der Saison, wenn auch nicht auf den Tourenski, sondern auf deutlich zu schmalem schwarzen Gummi. Da sich nun in diesem Jahr mein Geschick beim Radfahren schon in mehreren zerfetzen Hosen, blutenden Wunden und schmerzenden Gelenken geäußert hat, hielt ich es für angebracht, auf Dosenbier auszuweichen. Ab und zu, so einmal im Jahr, habe ich darauf noch Lust und hoffe gleichzeitig, daß zwei jährliche Dosenbiere eher eines meiner größeren Umweltvergehen darstellen. Außerdem bricht eine Dose nicht gleich, wenn man sie im Rucksack trägt und samt Fahrrad darauf fällt. Fragen Sie nicht, woher ich das weiß, aber Flaschen brechen bei solchen Aktionen völlig grundlos und geben ihren Inhalt samt tausender Scherben an meine frische Unterwäsche ab. Um im Büro eine frische Unterhose tragen zu können, habe ich also Dosenbier gekauft. Kausalketten, so wichtig. Ob es eine richtig gute Idee war, daß zur Sicherheit der Kollege auch Bier gekauft hat, daß ich aus Lustgründen auf Bockbier ausgewichen bin und das alles bewußt in das erwähnte Schneechaos samt einem wilden Fahrradritt über die rauhe Alb zu kombinieren, wird sich heute abend noch zeigen. Man fällt ja doch eher weich im tiefen Schnee, denke ich, und mit zwei Bieren ist eine Schmerztablette ja quasi schon im Voraus eingepreist. Davon habe ich vor wenigen Wochen immerhin auch meine erste genommen, sorgsam halbiert und wegen möglicher Nebenwirkungen erst im Büro eingenommen, während ich auf der morgendlichen Fahrt noch mit dem Tempomaten fahren mußte, weil ich keinen Fuß auf ein Pedal bekommen hätte. Andere Geschichte. Jedenfalls also war ein zweiter Grund für den Besuch im Supermarkt der Auslauf, der mir abends etwas fehlt in diesen Zeiten voll sitzender Arbeiten, und ein fehlender Adventskalender, fragen Sie nicht. Dosenbier und ein Adventskalender also, und nach ersterem fahndete ich im neugestalteten Marktlabyrinth ganz erfolgreich, während ich zweiteres vergeblich suchte. Ob ein Grund statt im bereits erwähnten Labyrinth vielleicht in meiner eher ungünstigen Zeitplanung zu suchen wäre, darüber möchte ich gar nicht so genau nachdenken. Man kann schließlich nicht alles planen, und vom ersten Advent war ich tatsächlich und ehrlich völlig überrascht. Leider habe ich daraus nicht den üblichen Kalenderschluß gezogen, aber was will man machen, wenn in diesem Jahr die Dörfer nicht nach ausgekotztem Glühwein stinken, es ist ja alles anders als noch sonst. Der freundliche Verkäufer, den ich, Dosenbiere balancierend, befragte, schickte mich also zu einem Tisch, einem richtigen Wühltisch mit schweren Beinen und einem halbhohen Gitter, in das der geneigte Wühler zurückwerfen kann, was ihm dann doch nicht passen mag. Dort Kalender, davon mehrere bedruckt mit dem Logo eines Fußballvereines, was mir thematisch nicht ganz einleuchten mochte, und der falsche Fußballverein war es dann auch noch. Außerdem hätte man angesichts meiner Verachtung für den Profifußball und seine Werbemechanismen wirklich nur noch einen Panikkauf vermuten können - einen Tag vor Toresschluß erst draufgekommen, und wer eine solche Verzweiflungstat vermutet hätte, er hätte allzu richtig gelegen. Von einem anderen Kalender gab es noch mehrere Exemplare, groß und schwer und teuer lagen sie da, mit den Stirnseiten nach unten aufeinander, aber zumindest der Rücken zeigte sich weihnachtlich mit Schnee und Sternchen, und ich halte mich in solchen Dingen ja an den allgemeinen Marketingcodex, auch wenn ich gern wüten würde, daß längst ja kein Schnee mehr liegt. Ging aber nicht, denn Schneechaos. Also den Kalender mit schmerzendem Blick auf den horrend ausgezeichneten Preis aufgestellt und mitgenommen. Kurz vor der Kasse ein Blick auf die Front und großes Glück: Ein Adventskalender für Hunde, stand klein darauf zu lesen. Bei allem Humor und aller Liebe - nein. Es wäre gar zu peinlich geworden. So stand ich dann, hin- und hergestoßen zwischen Hundeplätzchen und Fußballvereinen, und habe ich heute schon über Kausalketten gesprochen? Also kein Kalender, stattdessen eine weihnachtlich verpackte Schokoladentafel, korrekt mit Schnee und Sternchen und für mich Idioten zum doppelten Preis einer normalen Tafel. Von mir aus, und so radelte ich also heute morgen bis zum Berg, den ich schiebend alsbald erklomm, rodelte samt Rad auf der anderen Seite hinab, und nun freue ich mich auf das Bier mit dem Kollegen, auf den Schnee auf der Zunge und nicht zuletzt darauf, herauszufinden, ob das alles nun wirklich eine gute Idee gewesen sein wird.
# |  4 RauchzeichenGas geben

Montag, 16. 11 20

16.11.20, 10:30 | 'was von den Jahren uebrigbleibt'
Wer hätte gedacht, daß es mich einmal derart beglücken könnte, nach einem langen Sommer die alte Weste aus dem Schrank zu nehmen, die ich immer zum Melken trug. In der Brusttasche noch ein wenig Stroh zu finden. Mit der Nase am abgeschabten Cord entlangtasten, um einen Rest Stallduft einatmen zu können. Es riecht nach einer vergangenen Zeit, nach Wärme und Vermissen, und sicher ist bei allem nur, daß beides vergehen muß und vergehen wird.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Mittwoch, 11. 11 20

11.11.20, 20:48 | 'Ansatzlos'
Bei Gelegenheit mal drüber nachdenken, ob es ein gutes Zeichen ist, daß ich mich an die Tage kaum mehr erinnern kann. Wenn ich an die Tage denke, die sich mir eingeprägt und eingebrannt haben, dann eher nicht. Es ist ein Talent, vielleicht, die guten Tage in leuchtender Erinnerung zu behalten.

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Immer wieder der Gedanke an die Straße, die sich vierspurig und auf Stelzen stehend gabelt. Die hohen Gebäude zur Linken, das Oval zur Rechten. In diesem Gedanken ist immer Halbdunkel, stets leichter Nebel.

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Vier Jahre sind es heute geworden, daß Du gestorben bist. Dein Haus sieht anders aus, Deine Familie hat sich verändert. Wie sich das Land verändert, wenn der Boden bearbeitet wird. Pflug und Saat und Ernte, das habe ich von Dir. Dafür mein unendlicher Dank, für das Mähen mit der Sense, fürs Dengeln und Wetzen, für die Gummistiefel und das rauhe Lachen, für Rauch und Kartenspiel.

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Was dieses Jahr zerrissen hat, war vielleicht schon brüchig. Was wir wieder richten können, werden unser Geschick und unsere Kraft zeigen. Demut.

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In Extremen denken.

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Morgens schmerzt der Rücken, daß mir nur noch saure Witze einfallen wollen über den Trottel, der einst die Zeit verlachen wollte und dem jetzt die Tränen kommen beim Versuch, die Schuhe zu binden. Ich kann sehr lang den Atem anhalten, stelle ich fest. Und schmerzfrei liegen, das habe ich vor lauter Müdigkeit auch zu wenig geschätzt. Es bringt die Zeit die Lehren, wie es aussieht.

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Es gibt sie doch, die Routine. Ein wenig Skript, ein Abend der Vorbereitung, sie reichen mir für anderthalb Stunden. Nur die Stimme, die reicht mir nie. Wie gern ich unterrichte.
# |  Rauchfrei | Gas geben