Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Samstag, 13. 08 22

13.08.22, 12:29 | 'Ein Elend in der Welt'
Bei Konflikten erkenne ich oft ein Dreieck der Handelnden aus Angreifer, Opfer und Verteidiger. Gegenstand vieler Diskussionen über laufende oder vergangene Konflikte ist dabei die Zuordnung der Rollen zu den Handelnden. Was, wenn mehrere Angreifer aufeinandertreffen? Was, wenn alle Opfer sein wollen? War der Verteidiger nicht vielleicht doch ein Angreifer? Und was, wenn die Rollen nicht durchgehend den einzelnen Handelnden zuzuordnen sind? So kann ein Angreifer durchaus zum Opfer werden, oder ein Verteidiger seinerseits zum Angreifer. Wird die Eindeutigkeit der Rollen verwischt, so werden auch die Anteile an den Rollen nun gemischt verteilt. Auch die Historie fließt mitunter in die Diskussion ein, wenn darauf verwiesen wird, daß ein langes Opferdasein durchaus zum Angriff führen kann. Man mag vielleicht so weit gehen, zu sagen, daß eine eindeutige Zuordnung gar nie möglich ist, daß also niemand nur Angreifer oder nur Verteidiger sein kann. Beim Opfer sind wir vorsichtiger, denn durch die Zuweisung einer weiteren Rolle wird im nächsten Schritt stets die Verantwortung oder sogar Schuld verrechnet. So kann die Schuld des langjährigen Opfers, das zum Angreifer wird, geringer wahrgenommen werden, oder ihm sogar die Verantwortung für den Angriff abgesprochen werden. Wir haben also Diskussionen um die Zuordnung und Zuteilung der Rollen zu den Handelnden, um die vergangenen Rollenzuordnungen, und letztlich um die Zuweisung von Schuld und Verantwortung.
Diese Diskussion fand und findet auf vielen Ebenen statt und vermischt sich doch - so ist bei einem Krieg wie in diesem Jahr oft die Rede von einem einzelnen Angreifer, oder vielleicht doch von einem ganzen Land, und allein darüber lässt sich trefflich diskutieren. Ebenfalls findet diese Diskussion derzeit statt um einen Mann, der mit einem Messer in der Hand erschossen wurde. Wie verschieden die Rollen hier zugewiesen werden, und vor allem, wie verschieden die Verteidiger sind. Auf der einen Seite sind es die Opfer selbst, die Angegriffenen, die sich verteidigen müssen und diese Rolle aufgezwungen bekommen, und auf der anderen Seite sind es staatliche Verteidiger, die vielleicht nur hinzugerufen werden, ohne eigentlich Teil des Konfliktes gewesen zu sein, auf jeden Fall aber eine Pflicht und einen Auftrag haben. Denn was wir innerhalb des Landes haben, das sogenannte Gewaltmonopol, also eine Zusicherung von Sicherheit und eine Zusicherung, daß dem Opfer ein Verteidiger von Staats wegen hinzugestellt wird, das gibt es für die Welt nun nicht. Dort gibt es nur Politik, und es ist unterschiedlich opportun, sich zu den Verteidigern zu gesellen, oder vielleicht aufgrund der Kräfteverhältnisse gar nicht erst möglich. Allzu oft ist in diesem Jahr das Völkerrecht erwähnt worden, und damit das Recht zur Selbstverteidigung und das Recht anderer, sich zu den Verteidigern zu gesellen.
Gerade die Breite dessen, was noch einbezogen wird an Historien, an Geschehnissen und Hintergründen, verschiebt die zugeschriebenen Rollenanteile bis in die Extreme, und die Diskussion gleitet ab ins Teilen blutrünstiger Videos, die alles zeigen und doch nichts, und seltsamerweise ist ausgerechnet das die Gemeinsamkeit der beiden erwähnten Konflikte. Und auch die Zuschreibung von Verantwortung und Schuld an die Handelnden gerät dadurch in die Extreme. Die Diskussion weitet sich aus und entgrenzt, und was mir neu auffällt: die Mitte wird nicht nur schmaler, sie wird auch noch von allen Extremen her verunglimpft. Man möchte dort nicht mehr stehenbleiben, wo man von allen Seiten unter Beschuß steht, von allen angegriffen wird. Die Mitte wird dünn, und sie wird stumm.
Wie aus einer Beobachtung nun doch keine Lehre wird.
# |  1 RauchzeichenGas geben