01.06.25, 15:50
Am späten Abend laufe ich übers Silo, spüre das Gras unter meinen Arbeitsschuhen federnd nachgeben. Rundum am Weltenrand stecken die Windräder die Flügel in die dunklen, scharfgezeichneten Wolken. Immer wieder zuckt ein Blitz, knallt ein Donnerschlag. Der Regen ist noch am Gegenhang zugange, er wird noch gut zehn Minuten brauchen, und bis dahin haben wir die Folie auf dem Futter und sind in Sicherheit. Ich gehe langsam, als würde ich mich durch die teigschwere Luft reiben. Meine Hand bewegt sich, leicht und doch bestimmt, und ich schaue erstaunt hinab, sehe die Berührung erst, bevor ich sie erkenne. Neben mir läuft eine Vierjährige, bis unter die Knie eingehüllt in einen dicken Wintermantel, die Kapuze mit dem Fellkragen bedeckt ihren Kopf, die viel zu langen Ärmel ihre Hände. Aus dem Mantel schauen nackte Beinchen, denn für lange Hosen war auch nach der finalen mütterlichen Aufforderung, sich wärmer anzuziehen, wohl keine Zeit. Ich greife nach den kleinen Fingerchen in meiner Handfläche und spüre die Eiseskälte auf der Haut. Gemessenen Schrittes gehen wir gemeinsam, Hand in Hand, die letzten Meter auf unserem gräsernen Laufsteg hoch überm Boden, schneiden die Folie durch und entfalten sie über die ganze Silobreite. Zurück vor dem Silo lehnt das laufende Mäntelchen an mir, der ich mit dem Bauern ein paar müde Worte wechsle, und darunter wechseln sich großes Gähnen und eisiges Schlottern ab. Dann fahre ich ab, und im wenigen Licht, das sich nicht an meiner Frontladerschwinge bricht, sehe ich das Straßenband unter mir verschwinden, sehe im Dunkeln ab und an in helle Fenster, wenn ich durch ein Dörflein fahre, wo sich vielleicht gerade jemand fragt, wer denn hier des nachts solch einen Lärm veranstaltet. Ich folge einer blauen Linie auf meiner Karte, bis mir die Ortschaften wieder bekannt vorkommen und die Maibäume wieder aussehen wie die unsrigen. Regen auf den Scheiben, die Wischer tun ihre Dienste, und von den warmen Stellen der Motorhaube steigt der Dampf. Kein Auto mehr auf den Straßen, und in der Halle wechsle ich das Fahrzeug. Ein Zwischenhalt noch, an hellen Fenstern gehe ich vorbei mit meinen schwarzen Händen, schmutzigen kurzen Hosen, schweren Schuhen. Eine Gesellschaft im Innern, wo ich meine Glückwünsche aufsage und mich kurz nur setze zu den Dirndlträgerinnen. Ein Stück Weg noch, mit Tempomat und Lenkhilfe heutzutage, und in der Dusche nur nicht zu viel Wasser schlucken bei der Gähnerei. Ein Bett, und mit den Augenlidern klappe ich das Buch dieses Tages zu, in das ich eine Erinnerung schreiben durfte an diesen lichten Moment mit einer kleinen, kalten Hand. Ob diese Erinnerung auch in anderen Büchern stehen mag, denke ich, doch meine Gedanken brauchen heute keinen Ordnungsruf und enden mittendrin im Satz.