01.11.25, 22:31
Ach Opa. In ein paar Tagen wärst Du einhundertunddrei Jahre geworden. Stattdessen bist Du bald neun Jahre fort. Am Küchenfenster bist Du gestanden und hast über den Hof geschaut. Dunkel der große Stall mit dem riesigen Giebel, hinter Dir die helle Röhre der Küchenlampe. Vor Dir eine Packung Zigaretten und ein Viertelesglas Rotwein. Ich habe Dir von der Gasse aus manchmal die großen Schlepper gezeigt, mit denen ich damals schon gefahren bin, und immer noch kann ich Dein anerkennendes Lachen hören. Sie sind heute noch viel größer als damals, und doch fing mit Deinem Dieselross alles an. Als letzte Maschine steht es noch in der Garage im dunklen, leeren Stall. Und ich selbst sitze am Küchentisch, umgeben von leiser Musik, um Deinen derzeit noch jüngsten Urenkel nicht zu wecken, wo doch der nächste Anwärter für diesen Titel schon in den Startlöchern steht. Es ist eine große Familie geworden, vereint in ihren Wurzeln auf diesem Hof, und ausgewachsen in alle möglichen Richtungen. Doch fallen Äpfel nicht allzuweit vom Stamm, und mancher schlägt dort Wurzeln, möchte ich Dir heute abend sagen. Denn vor mir liegt ein Brief mit meinem Namen, meiner akademischen Erinnerung und einer langen Zahl. Meiner landwirtschaftlichen Betriebsnummer. Ich habe deshalb eine Flasche Rotwein hier, und nun werde ich mir davon einschenken und mein Glas erheben auf den Mann, der mir so vieles mitgegeben hat. Wurzeln und Wuchs. Die Kühe und die Schlepper. Hab Dank, Opa, besonders in diesem Jahr. Ohne Dich wäre ich nicht ich.
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