Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 30. 06 25

30.06.25, 20:04
Und während ich so fahre in diese letzte Woche, über die ich noch gewitzelt habe, was mir nun wieder dazwischenkommen wird, was mich nun wieder davon abhalten wird, endlich den Rohbau beenden zu können, und was eigentlich alles dazwischenkam seit April, da klingelt das Telefon, da ist ein Fußgelenk und eine Hüfte, eine Operation und eine Rinderherde, und da haben die Kassen niemanden verfügbar, und dem Wetter und den Tieren sind unsere Systeme ja egal. Getreide also, Stroh und Öhmd, und Weiden durch den heißen Sommer bringen. Ich beende das Telefonat, und wieder ist ein Tag ganz anders, eine Woche voll und ein Sommer neu verplant.
# |  Rauchfrei | Gas geben


30.06.25, 18:17
Es ist noch früh am Sonntagmorgen, als ich auf den Crosstrainer steige. Die übliche Runde, sage ich mir und lege den Brustgurt an, starte die Aufzeichnung, klappe den Rechner auf. Irgendeinen Film schaue ich mir immer an, mal eine Vorlesung über Pferdeanatomie, dann wieder eine Schnulze. Sie müssen nur über siebzig Minuten dauern, meine Filme, und nie sehe ich einen nach dem Training zu Ende. Sie sind nur Ablenkung, halten den Puls unten. Wenn ich mich auf den konzentriere, schießt er nach oben. Dabei möchte ich doch Grundlagenausdauer trainieren, nachdem ich vor einiger Zeit einiges über diese Wunderwaffe gesehen habe - in Form von Videos während meiner damals kürzeren, aber intensiveren Intervalltrainings. Nach einem Monat schon spürte der Erzähler den Effekt, und ich schaue in den Aufzeichnungen, wie lang das nun schon wieder her ist. Die Lücke ist monatelang. Monate, in denen ich nicht zu Hause war, oder nur so wenige Stunden, daß Schlaf den Vorzug bekam. Gewöhnt habe ich mich trotzdem, und erst nach etwa vierzig Minuten lasse ich mich meist zu ein paar Tritten jenseits der neunzig Prozent hinreißen. Neunzig Prozent, das sind gerade einmal noch hundertundsechzig Schläge, rechnet das Aufzeichnungsprogramm, und ich habe es aufgegeben, jedes Mal höhere Werte einzugeben, die dann doch keinen Bestand gegen die innere Rechnung haben. So stehe ich also auf dem Gerät und sehe meinen Oberkörper in den spiegelnden Fensterscheiben wippen. Die Rolläden sind schon herabgelassen, um die Tageshitze draußen zu halten, und Berge und blauen Himmel sehe ich nur auf dem Bildschirm, wo Menschen wandern, über Bäche springen und zwischendurch erschossen werden, weil mich der Filmtitel doch ein wenig hinters Licht geführt hat. Ich habe den Hergang nicht verfolgt, und vielleicht habe ich deshalb wenig Mitleid mit den Hauptfiguren. Stattdessen denke ich daran, wie weit ich von mir selbst schon weg bin, wie entfernt von dem, der lange Runden radelte und schwitzte, der in Seen sprang und schwamm, der Pommes im Liegen und Eis im Sattel essen konnte. Stattdessen bleibe ich bei siebzig Prozent, hundertfünfundzwanzig Schläge, und erhoffe mir davon eine Wirkung diesseits von Langeweile und Genervtheit. Doch in diesem Sommer fange ich auch dabei an zu schwitzen und genieße das durchtränkte Leibchen, das ich aus dem Bett noch trage, und das an einem Zipfel anfängt, Tropfen zu bilden, die mein Oberschenkel abstreift und die mir dann bis in die Socken laufen. Siebzig Minuten siebzig Prozent. Nur wenn's weh tut, ist es gut, habe ich von Rosenstolz behalten, aber besonders alt hat die Sängerin damit nun auch nicht werden dürfen. Siebzig, siebzig, und keine dreißig Prozent mehr im Leben, höhne ich und schaue von innen gegen den Rolladen, der meine Blicke abweist, ohne daß es dafür hier drinnen kühler würde. Daß ich mit meinem Scherenschnitt von Persönlichkeit keine Kongruenz mehr hinbekomme, damit habe ich mich abgefunden, dachte ich. Doch daß ich mir selbst dermaßen entgegenstrample, meine Güte. Doch der gesunde Körper solle den Geist gesunden lassen, sagten schon die alten Griechen, aber ausgestorben sind sie doch. Der Crosstrainer knirscht, ich habe die achtzig überschritten. Nur nicht denken, das treibt den Puls. Ich erinnere mich also dran, wie ich das Ding einst zerlegt hatte, verkauft als defekt wegen Riemenschaden und Sensorfehler. Viel zu tief saßen die Schrauben im Gehäuse, und alle unterschiedlich lang. Dafür war der Riemen einer von der Stange, und meine schöne Idee, den nächstgrößeren Standardriemen durch eine größere Spannrolle zu kompensieren, war obsolet geworden. Eine Woche Lieferzeit und ein Schrauberstündchen später war ich dann Besitzer dieses Gerätes, das ich kurz zuvor in einer Großstadt gebraucht erworben hatte. Der Verkäufer war ein großer, schwerer Mann, etwa in meinem Alter und mit einem ähnlich schreibtischbezogenen Beruf. Er konnte beim Tragen leider nicht recht helfen, und so war das Treppenhaus eine Quälerei für das Gerät und mich, und die Heimfahrt stehend und gegurtet auf dem Anhänger ein kleines Abenteuer ganz für sich. Doch es war ja Nacht, und nach den Ausgangssperren wurde eine Zeitlang überhaupt nicht kontrolliert. Vermutlich hatte die ganze Polizei Überstunden abzufeiern, ich weiß es nicht. Jedenfalls im Treppenhaus erzählte der Verkäufer, daß er nun zurück dürfe ins Büro, und daß er dafür ein Fahrrad erworben hätte. Ein Akkurad, natürlich, vom Arbeitgeber stark bezuschußt, und neben dem Büro gebe es ein Gym. Er schnaufte schwer, wie er mir nachlief auf den Treppen und dabei erzählte, während ich die zweieinhalb Gerätezentner über die Stufen wuchtete und er die seinen. Der Puls ging zurück, ich hatte im Film auch etwas verpasst, denn das Wasser im Bach war wieder klar, die Stimmung nach Regieanweisung heiter und ungetrübt. Ich schenkte dem großen, schweren Mann den letzten Gedanken, der mich damals zum Kauf bewogen hatte, daß nämlich Selbst- und Außenbild oft überraschend wenig übereinstimmen, und so war das Gerät ebenso wenig genutzt, wie es heute wohl das Akkurad sein dürfte. Noch keine sechzig Minuten auf der Uhr, und ich beschloß, den Plan der siebzig zu beenden, und erleichtert trat ich in die Pedale, riß an den Hebeln, Intervall bis neunzig, nachlassen bis achtzig, und von vorn bis ultimo. Wenigstens dabei will ich mir treu sein, schnaufte ich, und taumelte wenig später naß und glühend in Richtung Dusche, Richtung Schreibtisch.
# |  1 RauchzeichenGas geben