Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Mittwoch, 12. 03 25

12.03.25, 11:39
Eine meiner Marotten ist ja, daß eine Vielzahl dummer Ideen in Summe immer eine gute Geschichte ergeben. Dabei sind Marotten irgendwie die Mehrzahl von Motto.

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So ergab es sich also, daß ich am Faschingssonntag mit leichter Faschingsschlagseite noch Lenkerband wickeln mußte. Immer nach außen, und um den Bremshebel eine Acht. Und selbst im allerbesten Zustand muß ich das normalerweise mehrfach wiederholen, bis es ordentlich aussieht. Zu lang, zu kurz, zu schräg. Doch irgendwann war es dran. Dann Fingerwaschen und Taschenpacken. Dazu werfe ich einfach für jeden zweiten Tag einen Satz Arbeitskleidung in die Tasche, vergesse die Schuhe nicht, und den einen Satz normaler Kleidung trage ich ja sowieso am Leib.

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Dann wäre ich abfahrbereit gewesen, mitten in der Nacht wie gebucht. Doch die Bahn hatte anderes vor, und so begann meine Reise mit den angenehmst vorstellbaren fünf Stunden Verspätung. Nämlich denen, die ich in meinem Bett verbringen konnte. So dachte ich vor dem Einschlafen, während ich bei der allzu frühen Auferstehung ganz andere Dinge dachte, die sich allerdings einer Verschriftlichung entziehen.

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Auf zum Bahnhof also, und so früh an einem Rosenmontagmorgen bekommt man dort sogar noch einen prima Parkplatz. Denn auf meiner üblichen Reise längs durchs Land sind es immer das erste und das letzte Prozent der Strecke, für die es ein Auto braucht. Für den Rest brauche ich üblicherweise nur Zeit und Nerven.

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Mit dem Zug Richtung Ruhrgebiet. Am Rosenmontagmorgen. Den Zug würde ich auch ausfallen lassen, wenn ich die Bahn wäre, doch ich würde es meinen Reisenden vielleicht ein wenig früher sagen. Ich wechsle also mehrfach zwischen zwei Bahnsteigen, je nach Ansage der App, und vermutlich lacht irgendein Bahnjeck dabei, denn mit mir tun das Hunderte. Wir sind ein Lindwurm, der sich in eine Blechraupe drängeln möchte, und irgendwie fahre ich dann doch Richtung Frankfurt. Die Schaffnerin nimmt das klaglos hin, denn mittlerweile habe ich sechs Stunden Verspätung auf dem Tacho und bin noch keine Stunde unterwegs. Wie eine Zeitreise, nur anders.

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In Hamburg bemerke ich, daß konkurrierende Verspätungen dafür gesorgt haben, daß ich zwar weiterhin zu spät ankomme, aber plötzlich wieder mit dem richtigen Zug fahren kann. Wunder dauern immer etwas länger, denke ich. Als eine Art Liveticker gebe ich meine wechselnden Ankunftszeiten durch, damit meine Abholerin nicht allzu lang auf mich warten muß. Ich muß auf die Insel, denke ich, als ich endlich aussteigen darf, denn ich bin bereits völlig entkoffeiniert, wo doch auch das fürs Bistro zuständige Personal den Zug verpasst und somit niemand einen Kassenschlüssel hatte. Vielleicht sollte die Bahn ihren Mitarbeitern Dienstwägen spendieren. Bevor ich allerdings dem Infrastruktur-Defätismus verfalle, den ich über Stunden in den Nachrichten verfolgt habe, fahren wir los, das letzte Stück auf die Halbinsel und zum entkoffeinierten Kaffee. Was Ganzes kriege ich wohl niemals hin.

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Immer repariere ich dort irgendwas. Diesmal beginne ich mit einer Kaffeemaschine. Zum Glück ist es eine Zweitmaschine, denn so kann ich dabei wenigstens Kaffee trinken.

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Ich denke schon länger nicht mehr tiefgehender darüber nach, warum ich auf eine solche Art Urlaub mache. Ich kann das kleinreden damit, daß ich eben Freunde besuche, die sehr weit entfernt leben und noch dazu in einer Urlaubsregion, und ich sie daher ab und an eine Woche besuche. Doch ich besuche ja nie jemanden. Und es liegt ein Schatten über diesem Besuch, in dieser Form vielleicht meinem letzten. Nie wissen wir, was sich ändern wird, sagen wir, doch meist wissen wir nicht, was uns bleiben wird. Und ich wollte auch wieder mehr denken. Warum also komme ich? Weil meine Freunde meine Hilfe brauchen können. Weil ich dort etwas tun kann, was Hand und Fuß hat, einen Anfang und ein gutes Ende, und einen Sinn, auch wenn der nicht allzu tief liegen mag. Schließlich ist es keine große Weisheit, daß die Tiere Wasser und Futter brauchen, wie wir zweibeinigen Viecher auch. Ich komme auch, weil ich hier mit Kartoffeln in den Händen zwischen den Kühen stehen kann. Ich bin selten nur an einem Ort, mit dem Kopf und dem Herz, mit den Spreizfüßen und den dreckigen Händen. Zwischen den Kühen versammle ich mich, zwischen den Kühen schreibe ich meine Romane. Zwischen den Kühen fließen meine Gedanken wie klares Wasser, fließt mein Leben wie ein ganzer Bach. Ganz schön irre, denke ich, dafür durchs ganze, nun wirklich durchs ganze Land zu fahren, und dann doch so wenig Zeit zwischen den Kühen zu verbringen. Ich habe selten mehr Genuß an der Welt also vom Schleppersitz aus, denke ich. Ich könnte nicht ruhig an einem Strand sitzen, denke ich, aber zehn Meter davon entfernt auf einem Schleppersitz kann ich zehn Stunden sitzen. Meine Bahnen ziehen wie die Wellen, und dabei über Pflanzen nachdenken. Über den Boden, und was wir für unsere und gegen die anderen Pflanzen tun können. Es ist, so denke ich, eine andere Art des Lernens, die mich fasziniert. Die Zeitpunkte sind nicht berechenbar, zu denen eine Arbeit ansteht. Und die Arbeit selbst ist es ja auch nicht - soll ich die Rollhacke noch ein wenig entlasten oder schneller fahren? Ist es hier gerade richtig oder schon zu feucht? Es liegt eine lange Zeit zwischen dem Arbeitsgang und seiner Ernte, und dazwischen liegt das Wetter, liegen andere Arbeiten, liegt das halbe Jahr, das den Ackerbauern ein ganzes ist. Es ist in jeder Arbeit außerdem eine Vereinigung, Verschmelzung fast, wenn die Abläufe der Hände an den Hebeln, der Füße auf den Pedalen sich einschleifen und abrunden und von der Gedankensteuerung ins Unbewußte wandern. Nie ist mir der Kopf so frei, als wenn ich meine Hände beschäftigt halte, auch wenn mir schon die Nähe dieses Gedankens zum Hohnspruch der Massenmörder bitter ist. Nie ist mir so warm, als wenn ich im kalten Wind schaffe. Und selten habe ich ein ähnliches Gefühl vom Tun, vom Vollbringen, vom Bewegen, als wenn ich Bauer spiele. Denn leben muß ich von dieser Arbeit nicht, und vielleicht bin ich gerade deshalb und dabei so unermüdlich. Ich komme durch die Beschreibung meiner Liebe kaum näher, und stattdessen scharre ich mit den schweren Schuhen durch den weichen Sand, als ich absteige und um mein Fahrzeug herummarschiere. Ein Blick zum Boden, einer zur Maschine, ein Blick zur Pflanze und einer in den weiten Himmel. Ein Gedanke an die Großväter, von denen einer selbst aus dieser Gegend kam, der stets ein großer Gärtner war, mit Akribie und Liebe, und an den anderen, der noch mit Pferdefuhrwerken die Landwirtschaft gelernt hatte, um sich dann erst in Frankreich, dann ich Russland mehr tot als lebendig schießen lassen mußte, um Jahre später wieder zurückzukehren und sein Dorf nie mehr zu verlassen. Vielleicht ist es die Forderung ans Denken, erst dieses tun und jenes hierhin stellen. Es sind so viele Dimensionen, wo jeder die Maschinen braucht, und es ist so viel Freiheit in einem Tun, bei dem nur das Ziel feststeht und alle Wege offen sind. Vielleicht kreisen meine Gedanken deshalb emsig munter, zwischen federbelasteten Ventilen und der Aufstellung des Behandlungsstands im Stall. Vielleicht ist es doch nur Liebe, denke ich, von der ich niemals lassen kann, zu Ackerbau und Viehzucht und dem warmen Lachen meiner Freunde.

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Ich kann ganz gut alleine sein und mich dabei selbst unterhalten, denke ich, als ich vom Acker aus über Stunden niemanden sehe, während ich stetig wechsle von einer Leiter auf die andre, Laden, Absteigen, Aufsteigen, Fahren, Streuen, Absteigen, Aufsteigen und wieder Laden. Es wird Morgen, es wird Tag, es dunkelt, und immer hier sind mir die Tage kurz, selbst wenn ich die Nächte mit dazunehme, sind mir die Wochen kurz, selbst wenn ich die Feiertage ignoriere. Es ist ein Lachen in der Welt, was für ein Lachen, sang Fendrich, und ich ertappe mich zwischen Ab- und Aufstieg selbst beim Singen, das im dunklen Brummen der Maschinen halb verklingt. Es ist ein Singen auf der Welt, was für ein Glück.

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Ein hydraulischer Defekt und eine lange Fehlersuche. Der Defekt erneut und eine noch längere Fehlersuche. Zwei Fehlversuche zur Behebung, und ich könnte knurren vor Wut. Eine abgerissene Welle, und natürlich findet sich im Chaos das Passende für eine Schweißnaht, und selbst ein Holzlager kriegen wir noch ersetzt. Ich kann mich kaum freuen über die Bastelei, weil sie mir so hilflos vorkommt und so lange dauert. Am Sonntagmorgen dann, noch vor dem Mittag reißen die Kratzbodenkette und mein Geduldsfaden. Ich werde dann sehr leise, fahre nach Hause und schaufle Tonnen an Mist aus dem Streuer, daß es nur so staubt. Es hilft doch nichts, zu viele Glieder fehlen. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll, sage ich, und das sage ich noch oft an diesem Nachmittag. Zum Abend stelle ich mich zwischen die Kühe, denen ich nichts sagen muß.

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Nun gibt auch noch der Schlepper auf, zum Glück nicht unter meiner Fahrung. Es ist nicht unsre Woche, keinesfalls. Ich fahre also los, den Sandweg am Bodden entlang, denn beim Grubbern wird mir schon nichts passieren können. Daß nun auch der Hubzylinder leckt, sehe ich erst, als ich im Acker stehe, und ein Schwarm Vögel guckt pikiert, weil man sich wohl schon auf ein nettes Mahl im frischdurchwühlten Boden gefreut hat und stattdessen nur ein Rumpelstilzchen zu sehen bekommt, das alles wieder platt trampelt in seinem seltsamen Tanz ums dunkel brummende Gefährt. In zwei Stunden werde ich auf dem Heimweg sein, und wenn kurz nach dem Einsteigen dem Zug ein Rad abfällt, ich könnte ihm nicht einmal mehr böse sein.

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Dann verlass ich Deine Stadt, sang einst Alexa Feser, und so schaue ich auf meine kleine Welt hier oben, die mir doch reicht. Warst Du mal an der Seebrücke, fragen sie, und ich zucke nur die Schultern. Ich habe den Blick vom Acker auf die See, und den habe ich so tief in mich gebannt, daß ich hoffen darf, ihn nie mehr zu verlieren, schweige ich, denn ich sage wenig, und selbst das verstehe ich ja selber kaum. Dann der letzte Weg, und man erzählt mir vom schönen Sankt Petersburg. Ich fühle nichts dabei. Dann Einstieg, Abfahrt, Zwischenhalt auf freier Strecke. Doch anderer Züge Räder gehen mich zum Glück nichts an. In Rostock Umstieg, in Berlin ein kurzer Aufenthalt. Mit mir steigt eine junge Frau ein, sie telefoniert auf Spanisch, und das durchgehend bis Nürnberg. Ich könnte schwören, denke ich, während sie lange lacht, daß sie die letzte Viertelstunde nicht einmal Luft geholt hat, und so verbringen also andere ihre Freizeit, denke ich. Ich höre gern Spanisch, denke ich, es klingt so munter und kennt kein Ende, keinen Anfang. Ab und an verstehe ich ein Wort, schrecke fast auf aus meinem Buch dabei. Vor mir essen zwei ihren Döner, und auf diese ersten Lebensmittel außerhalb des Hofes, auf dem sie erzeugt werden, achte ich stets besonders. Sie holen mich zurück in eine Wirklichkeit, in der andere Werte gelten. Teure Telefone, billiges Futter. Mehr Gefühle in einem Fußballverein als in den Lebensmitteln. Wir bestimmen unsere Werte selbst, denke ich, und zum Abgleich hilft es immer, die der anderen zu erkennen. Vielleicht mußte jemand mit dem Mist kämpfen wie ich, der nötig war, damit Dein Brotweizen wachsen konnte, und vielleicht stand jemand zwischen den Tieren, deren Fleischfetzen dünn geschnitten aus Deinen Händen fallen. Ich selbst muß auch etwas essen am Bahnhof, für die letzte Strecke, wo die alten Bahnen rumpeln mit den Türen und den Drehhebeln, vor denen ich mich früher so gefürchtet habe. Über jedem Abteil ein Drehregler für die Heizung, und die Luft riecht alt und abgenutzt. Ich setze mich und merke es bald nicht mehr, wie ich die Angst verloren habe, noch bevor es diese alten Türen nicht mehr gab. Es ist nicht alles, aber vieles nur Gewöhnung, denke ich und sehe mir die schlaffen Menschen in den Polstern an, in denen man nur schlaff sich lümmeln kann. Anderswo in einer kleinen Welt, da wuseln sie noch und werkeln, und sicher ist wieder etwas kaputt und sie stecken ihre Gedanken und ihre Kraft in eine Reparatur, für eine Arbeit, einen Zweck. Ob wir Schlaffen so einen Antrieb haben? Ein rumpelnder Halt, nur ein Dutzend Kilometer vor dem Ziel. Der Schaffner stolpert vorbei und radebrecht, die Sprache fällt ihm schwer, daß niemand ihm diese Baustelle angesagt habe, und daß er extra angerufen hat, die Leitstelle, die Leidstelle, und wir leiden mit ihm, tatsächlich tröstet ihn ein Reisender, und vielleicht hat wirklich jeder etwas, das ihn antreibt, ebenso wie jeder über Hindernisse stolpert, für die er nichts kann und an denen aller Wille versagt.

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Tiefe Nacht auf dem Parkplatz, und in tiefer Nacht stelle ich meine Tasche in den Flur. Sie wird einen sandigen Abdruck dort hinterlassen, den ich auf den Morgen vertröste, weil nicht alles schlimm ist und nicht alles schwer. Der Schlaf fällt mir leicht, und die Zeit ist Abstand für den Abschied.
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